14.2.06

Thank God I'm a Country Boy - NYE 2005, New Zealand.

"Hättste auch nich gedacht, daß wir sowas noch mal miterleben dürfen oder?" rief ich d.l.P. ins Ohr, während ein Mann mit der Frisur eines vergewaltigten Pudels auf der "Showbühne" herumkrächzte. "Klasse, oder?" strahlte mich d.l.P. an, "das nenn' ich mal Enter-fucking-tainment!!" Und in der Tat - nur begeisterte Gesichter um uns rum. Auf dem Marktplatz der kleinen neuseeländischen Stadt B., so klein, daß sie eben einen solchen noch hat, wackelten sich Pärchen und Familien arhythmisch dem neuen Jahr entgegen. Es hatte, zumindest für mich, daß Jahr 2005 somit auch den passenden Ausklang gefunden. 12 Monate lähmende Selbstzweifel, introspektives Getue, gelangweilt von der Gegenwart und nicht wissend, was zu tun sei; es war, wie Wiglaf Droste schon sagte, "Psyche viel groß". Welch bessere Art, diese madigen Monate den Lokus der Zeit runterzuspülen als mit "high quality entertainment from Paul Madsen[!]", wie das offizielle Poster an der Wand der lokalen Polizeiwache verkündete. Selbige Polizei patroullierte dann auch am Abend in Mannschaftsstärke durch die Straßen, konfiszierte entsicherte Mistgabeln und erteilte Platzverweise an illegale Banjospieler - denn wie mahnte das Poster so korrekt: "With Police involvement we can really ensure that this is a great, safe environment for families to enjoy the night in style."

Und Stil hatte der Abend auch. Seinen ganz eigenen, bzw. den einer ländlichen Kleinstadt und eben Paul "Motherfucking" Madsens. Alle Hits, sach ich nur, das McDonalds des westlichen Popmusikkanons: Dancing Queen, Y.M.C.A., It's Raining Men ("for the ladies!"), Thank God I'm a Country Boy... Gerade bei letzterem Song wurde begeistert mitgesungen, ein Wunder, wenn man die dortige Arbeitslosenquote, Alkoholmißbrauchsrate und Vorkommnisse an domestic violence in Betracht zieht, aber als hochnäsiger Großstadtaffe versteht man das Landvolk ja eh nie und wenn, dann immer falsch.

Paul "Motherfucking" Madsen (wir nannten ihn so, er sich selber nicht) jedenfalls war gaanz große Kunst. Vom Habitus einer Meerkatze auf Speed nicht ganz unähnlich, im Gegensatz zu seinem Gitarrenspieler, der an einen Mogadonabhängigen Nosferatu mit Migräne gemahnte, brachte er den Marktplatz zum Kochen. Aus den umliegenden Kneipen (alle ausverkauft, alle mit Maori Türstehern der Sorte "Ey, dem sein Unterarm ist dicker als mein Oberschenkel!") schallte "richtige" Popmusik, aber gegen Paul "Motherfucking" Madsen waren keine Blackeyed Peas gewachsen. Es war natürlich eine alkoholfreie Feier - der Neuseeländer und Australier an sich traut sich mit Feuerwasser im Freien nach Sonnenuntergang ja eher nicht über den Weg und muß es demzufolge auch konsequenterweise allen anderen verbieten. So war Softeis die vorherrschende Droge und die so hergestellte family athmosphere war so klebrig, krampfig fröhlich und voll falscher Bonhomie wie die athmosphere in den meisten families bei Feiern eben ist. Trotzdem: kleine Kinder wuselten über die Bühne und hüpften und klatschten und schossen mit Wasserknarren in die Menge, die örtliche Seniorengruppe "Die rüstigen Oberschenkelhalsbrüche" bildete eine Polonaise und überhaupt - ich hab für sowas ja durchaus ein Faible. Eine Gruppe großer und schöner somalischer Frauen, gehüllt in leuchtend gelbe, rote und blaue Tücher, stand kichernd vor dem christlichen Buchladen und diskutierte lebhaft, ob man für sowas etwa vor dem Bürgerkrieg geflohen sei (wenn ich meinem Somali trauen kann - und wer kann das nicht).

Paul "Motherfucking" Madsen gab sein letztes und verließ nach gefühlten 38 Zugaben schließlich die Bühne. Er wurde ersetzt durch einen Colonel Sanders-Verschnitt, augenscheinlich einer der Organisatoren und eine lokale Größe, der die "Netter Opa" Nummer gekonnt gab und die "lieben Kinder", die inzwischen aufgedreht waren wie Blechmäuse mit Zucker im Tank, von der Bühne komplimentierte, denn nun sollte das "schöne Feuerwerk" stattfinden und man wolle das Licht auf der Bühne ausmachen. Hat man dann auch. Das Licht jedenfalls, aber Ach!, nicht leicht hat es die ältere Generation mit diesem neumodischen Technikdingenskram und tückisch ist der off switch eines Mikrofones. Im Gegensatz zum Bühnenlicht war das Mikro jedenfalls noch an und so hörte die gesamte Kleinstadt, wie der nette ältere Herr (der natürlich nicht bemerkte, daß er noch auf Sendung war) die renitenten "lieben Kinder" verbal von der Bühne prügelte. Das lernt man wirklich schon als Kind: Sätze, von Erwachsenen gesprochen, die mit "Wenn du nicht gleich...." beginnen, nehmen meist kein gutes Ende.

Bevor die nun zuerst amüsierte, mit jeder unverhohlenen Drohung Richtung Kinderhosenboden jedoch fortwährend wütendere Menge den Schlagemichel in Spe standesgemäß lynchen konnte (Thank God I'm a Country Boy), wurde gerade noch rechtzeitig das Jahresendfeuerwerk in den tintenschwarzen Himmel über B. gefurzt. 3 Großpackungen Budni-Silvestermische und vorbei war's. Das in anglophonen Ländern leider unvermeidliche Dudelsackgequäke des Auld Lang Syne wurde angestimmt vom Vordach des lokalen Mähmaschinenherstellers, live dargeboten von der Dudelsackkombo "Katzenquäler". D.l.P. und ich machten uns auf ins Urlaubsbettchen, und als wir die Geschwister d.l.P. und deren Partner (Alter: zwischen 32 und 38) am nächsten Tag fragten, warum sie denn eigentlich nicht mitwollten, sagten die durch die Bank, daß DAS ihnen ja nun wirklich zuviel Aufregung gewesen wäre.