14.10.05

Zukunft vs. Vergangenheit: FANTOMAS, 24/08/2001, CITY LIVE und SLAYER, 29/08/2001, HORDERN PAVILION

Hab’ beim Aufräumen diverse alte Eintrittskarten wiedergefunden, und mich aufgrund der letzlich so genossenen Fantomas sowieso an diese Woche damals im Spätwinter 2001 erinnert, damals, als ich binnen einer Woche die Zukunft und Vergangenheit meiner musikalischen Entwicklung live bewundern durfte. Fantomas spielten damals im City Live, einer sterilen Musikgrotte auf dem Entertainmentgelände des Fox Studios (einer Art Bavariastudios auf Anabolika). Es war mein erstes Konzert in den Fox Studios und Gott der Gerechte! Das Konzert war an einem Freitagabend und die Atmosphäre auf dem mit Kneipen und Amüsierläden jeder Couleur zugeschifften Gelände erinnerte an ein hysterisches Betriebsfest. Menschenmassen, die sich verbissen darauf konzentrierten, jetzt aber auch wirklich ganz doll Spaß (oder sogar Spasss) haben zu müssen, dem Kölner Karneval darin nicht ganz unähnlich. Ich schlug mich durch die Wellen humanoider Freizeitbrandung und im City Live auf und harrte der Dinge die da kommen würden. Fantomas hatten gerade ihre CD The Director’s Cut herausgebracht ; es war ihr erster Auftritt in Sydney, wenn nicht sogar Australien. Ca. 10 Minuten nachdem Fantomas die Bühne betraten, war ich sofort und ohne Einschränkungen konvertiert – die Mischung aus Free Jazz, Pop, Death Metal, Punk, Swing, Ska, Jazz, [bitte fügen Sie Ihre bevorzugte Musikrichtung hier ein], war einfach zu lecker. Präzise wie eine Diamantsäge teilten Fantomas die Geschichte westlicher populärer Musik so in kleinste Häppchen auf, das es eine reine Freude war. Will sagen: dat perlte, und zwar richtig.

Obwohl: fast noch interessanter waren ja die baseballbekappten Beknackten im Publikum, die bei Mike Pattons Projekt wohl irgendwas zwischen Faith No More und AC/DC Schwanzrock erwartet hatten. Völlig verstört nach 5 Minuten, stark irritiert nach 10 und schließlich richtiggehend aggressiv beschimpften sie die Band lautstark: "Ey, dafür hab’ ich keine 40 Dollar bezahlt, ey, allerjetzmahiäh! Scheißlärm, ey, das is ja gar keine richtige Musik ey, wo is’n die Fernbedienung ey, Fickpisse ey! Schalt ma ab den Scheiß!!" (frei aus dem Australischen übersetzt). Gut, war vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig: Patton, der wie ein derilierender Dirigent seine Mittäter zu immer bizarrer werdenden Kakophonien anstachelte und ein set wie ein psychopathischer Babysitter. Ruhige, fast choralhafte Passagen die das Ohr umschmeichelten und einem zärtlich durchs zersauste Harr wuselten... schh... alles wird gut... schhhh..... NUR UM DIR DANN EIN MONSTERBRATRIFF ZWISCHEN DIE AUGEN ZU NAGELN!!! Mit einem breiten Grinsen das verdammt an die Cheshirekatze aus Alice in Wonderland gemahnte, schenkten mir Fantomas einen der besten Auftritte meines Lebens. Gott sah, daß es gut war und ich sah Menschen mit Basecaps aus den Ohren bluten.

Dem gegenüber stand dann ein alter Klassiker am 29/08/2001: SLAYER (auszusprechen mit richtig tiefer Stimme, gefolgt von irgendwelchem zu Hause am Küchentisch ausgedachten quasi-satanischen Hokuspokus)!! 65 Dollar hab’ ich damals für Slayer ausgegeben, alter Schwede, hätt’ ich in HH ja nicht locker gemacht, aber wie schon so oft beklagt: man ist etwas weit vom Schuß hier, und darum haben ihn viele Australier auch nicht gehört. Nun ja, Slayer, alte Helden meiner Jugend, und da irgendwie meine Jugend zumindest teilweise immer noch anzuhalten scheint, semi-Helden auch heute noch. Slayer spielen Death Metal für Doofe; tumbe Anstachelung zu Gewalt und Selbstverstümmelung, Soundtrack zu allem was schlecht und verachtungswürdig in einem ist. Andererseits sind sie dann doch wieder so klischeebeladen, daß sich ein I HERZ SLAYER T-Shirt wahrscheinlich ganz gut verkaufen würde (Hey – Marktlücke!). Ich find’ Slayer Klasse, alleine schon, weil man mit wenigen Bands so viel Spaß haben kann wie mit Slayer. So auch damals, als ich im benachbarten Fish Records Plattenladen in Newtown (home to all hipsters) die damals neue Slayer CD von einem verhuschten Belle and Sebastian Jünger hinter dem Tresen verlangte:

"Sach ma', habt ihr die neue Slayer?" – "Äh, wie heißen die? Slayer??" – "Yep, SLAYER!" – "Ah ja. Weißt du zufällig, wie die heißt?" – "Logen: God Hates Us All." – "God Hates Us All???" – "Jawohl, GOD HATES US ALL! Von SLAYER!!" So viel Spaß für so wenig Geld.

Slayer live war dann auch Gott, wie eine modernisierte Spinal Tap-Version für Küchentischsatanisten. Alle Klassiker wurden gespielt und es wurde ein richtig schöner schmierlappiger Abend (W. Droste), ein Trip in die eigene neurosenbehaftete Teenagervergangenheit der 80er Jahre , die zumindest für mich randangefüllt war mit Brilletragen, Übergewicht und kein-Glück-mit-Nix-haben. Von daher war Slayer gucken im Jahre 2001 auch eine Form des Exorzismus, und God Hates Us All ist wirklich gar keine schlechte Scheibe.

So sah ich damals im August 2001 binnen einer Woche meine musikalische Zukunft und Vergangenheit. Fantomas war wie von einer Dampfwalze überrollt zu werden, eine dieser coolen Science Fiction Teile aus Bladerunner oder Mad Max, mit allerhand Ecken und Kanten und böse im Mondlicht schimmernden Zacken. Slayer war wie von der Müllabfuhr angefahren zu werden, dreckig, schmutzig und mies. Beides große Konzerte!