12.3.05

"Habt ihr 'ne Couch?"

Bevor ich's völlig vergesse, hier noch fix die versprochenen Geschichte der besoffenen Nachbarsmutter. Da war man mal wieder froh, in einer relativ normalen Familie aufgewachsen zu sein, denn woanders sieht's da nicht so nett aus...

Aalso, vor 2 Wochen, vor dem Gig von Sarah Blasko. Ich kam nach Haus vom Training, fixe Dusche, fix die Fußballklamotten auf die Terrasse schmeißen, ich knipste das Terrassenlicht an - und da saß sie, am Holztisch des gemeinsamen Hintergartens unseres Mietsblocks, und blinzelte mir weingeistig entgegen. T-Shirt, Shorts, nackte Füße. Gut, so sieht hier natürlich jeder aus, und trotzdem dachte ich in meiner Eile, daß sich eine Dame der Straße, vulgo: Obdachlose, dort ein Weilchen ausruhte. Als sie mich sah, nuschelte sie mir auch gleich schwerer Zunge entgegen: "Hi! Samma, habbihr 'ne Couch?"

Nun muß ich vielleicht anmerken, daß mir so ziemlich nix an menschlichem Verhalten fremd ist, dazu hab' ich mich schon zu lange menschlich verhalten. Die liebende Partnerin hingegen ist da doch etwas behüteter aufgewachsen, und da ich ja gerade auf dem Weg aus dem Haus war (und somit d.l.P. mit der Situation alleine gelassen hätte), entgegnete ich also daß nein, wir keine Couch hätten, aber ob sie vielleicht einen Tee haben möchte oder ob ich irgendjemanden für sie anrufen könne? Ich wunderte mich noch, warum die ganz automatisch "ihr" anstatt "du" gesagt hatte, als...

... die aber auch dermaßen dichtgetrunkene Dame (wir waren ca. 5 Meter auseinander und ihre Fahne hätte man auf dem Hamburger Rathaus hissen können) eine dieser Betrunkenenschnuten zog, die Frauen ab einem gewissen Promillewert ziehen wenn ihnen was nicht paßt, und vorwurfsvoll nölte: "Abba ich bin doch Emmas Mudder! Weissu? Emma! Die Mudder von Emmmmma! Habbihr 'ne Couch? Ich will mich jetz schlafn legn!"

Na Klasse. Emma und Richard sind unsere Nachbarn, und jetzt erkannte ich auch Emmas Mutter wieder, die ich, zu meiner Verteidigung, erst einmal zuvor kurz gesehen hatte. Ich also erstmal etwas rumgestammelt, wieder rein, zur liebenden Partnerin ins Zimmer gestürmt und gesagt, daß wir jetzt wohl ein Problem hätten - denn reinlassen wollte ich die Gute nun nicht, das hätte bedeutet daß ich mein erstes Konzert seit ca. 5 Monaten verpaßt hätte (ich sag ja, mein Sozialleben hier ist nicht so hochprozentig wie Emmas Mutter den Abend war), denn d.l.P. hätte ich damit nicht alleine lassen können. Und so gut kennen wir unsere Nachbarn nun auch nicht, daß wir ihrer Anverwandtschaft die Heilsarmee geben. Andererseits war es ja nun mal Emmas Mutter, also wollten wir sie auch nicht einfach draußen sitzen lassen (was hier bei ca. 19 Grad nachts natürlich auch nicht schlimm gewesen wäre, körperlich jetzt).

Zum Glück kam d.l.P. die rettende Idee. Sie kam mit mir nach draußen und fand durch geschickte Befragung der jetzt an eine renitente Fünftkläßlerin gemahnenen Emma-Mutter - jaja, die Lehrerinnenvergangenheit d.l.P. ist doch zu etwas nütze ab und an - heraus, um was es eigentlich ging, und was die Emma-Mutter da überhaupt machte, an unserem Gemeinschaftsgartenholztisch, abends um 10, hackendicht und barfuß, und nebenan alles Dunkel und keiner zu Haus bei Emma und Richard. Und als die Details dann speicheltröpfchenweise der Emma-Mutter über's Kinn rollten, mußten d.l.P. und ich erstmal schlucken. Dann dankten wir wem-auch-immer, daß wir eben in einigermaßen normalen Familien aufgewachsen sind. Denn die Sache war die:

Emma und Richard hatten am vorherigen Wochenende wohl geheiratet (ich hatte mich auch schon gewundert, warum deren Wohnung auf einmal voll mit laut wiehernden englischen Frauen war, die nachts mit Stöckelschuhen über den Parkettboden galoppierten - müssen wohl die Brauereipferde Brautjungfern gewesen sein), und Emmas Mutter hat sich während der Zeremonie anscheinend zünftig abgeschossen. Woraufhin Emma sie angeblich vor versammelter Festgesellschaft angeschrien habe daß sie eine nichtsnutzige Trinkerin und verfickte Alkoholikerin sei und sie sei eh zu nix zu gebrauchen und sie hätte ihr, also Emmas, Leben jetzt lange genug ruiniert und sie solle sich verdammt nochmal zusammenreißen.... Selbst wenn man davon jetzt nur die Hälfte glaubt, und zumindest der Alkoholikeraspekt der Geschichte war in Anbetracht der ja in Person vor uns schwankenden Emma-Mutter schwer von der Hand zu weisen, muß das eine interessante Hochzeit gewesen sein.

Nun denn, dieses Debakel hat die Emma-Mutter natürlich sehr betrübt und gestreßt. Und was macht die Alkoholikerin, um Streß zu verarbeiten? Genau. Jedenfalls hätte Emma ihre Mutter quasi hochkant aus der eigenen Hochzeit geschmissen, und nun seien Emma und Richard verschwunden und sie wüßte nicht wo die sind, "waascheinlich aufn Flidderwochn un habn sich nich ma verabschiedet, weil die sind nich da, ich klopf da seit sswanzich Minuten schon an die Hintertür abba die sin nich da, abba dassis ja auch meine Schuld, überhaup is alles meine Schuld, habbihr 'ne Couch?"

Wie d.l.P. gestern übrigens von Richard erfuhr, stimmte das auch - die Nachbarn waren tatsächlich in den letzten 3 Wochen flittern, und zwar auf Bali (das Mallorca Indonesiens und damit Australiens), also hatte die Emma-Mutter damals wohl recht. Naja, um die Geschichte jetzt mal abzuschließen: wir kriegten dann durch Kojak-gleiche Befragung heraus, in welchem Hotel die Emma-Mutter denn abgestiegen war und fuhren sie nach Hause. In dieser fiesen Norman Bates-Nummer in Maroubra (das "M" in "Motel" steht nämlich nicht, wie vielfach vermutet, für "Motor", sondern für "Mord" und/oder "Massenpsychose") wurde uns dann auch gleich klar gemacht, daß die Emma-Mutter Hausverbot in der Motelbar habe, in der sie sich laut Manager den ganzen Tag betrunken habe und zum Schluß recht ausfällig wurde. Wir brachten die Emma-Mutter auf ihr Zimmer und sie bedankte sich überschwenglich bei uns, wie das Betrunkene manchmal tun. Das war's, wir fuhren nach Hause und ich kam endlich mit 45minütiger Verspätung zu Sarah Blasko.

Von der Autofahrt zum Motel erzähl ich jetzt nicht mehr, obwohl es da auch Perlen der Weingeistigkeit gab. Zum Beispiel: "Weissu, du siess aus wie Colin Farrell. WIE Colin Farrell!" (das ist natürlich gelogen, aber wenigstens nett gelogen. D.l.P., mit Populärkultur nicht ganz so au fait, wußte leider nicht, wer Colin Farrell ist und verstand deshalb mein geschmeicheltes Gehabe nicht ganz), und "Wo bissu her? Aus Deutschllland? Ich hass Deutsche! Deutsche sind scheisse ey! [kurze Pause, in der ihr wohl bewußt wurde, in wessen Auto sie saß und, da sie ja nicht wissen konnte wie Latte mir das ist, sie vielleicht besser den Rückwärtsgang einlegen sollte] Ausser ihr!! Ihr seid echt voll in Ordnung naeh?" Alleine mit der Autofahrt könnte man Bände vollschreiben.

Tja. Wir haben den Nachbarn, die im übrigen aus der "respektablen" weißen Mittelschicht kommen, natürlich nichts von dieser Geschichte erzählt, denn schlafende Hunde und so weiter. Jedenfalls sind d.l.P. und ich heilfroh, sowas in unseren jeweiligen Familien noch nicht mitgemacht zu haben - die betrunkene eigene Mutter aus der eigenen Hochzeit werfen und dann in einem fremden Land in einem schäbigen Motel sitzen zu lassen, während selbige sich die Lampen ausmacht und bei den Nachbarn um Couchasyl bettelt. Anderer Leute Familiendramen sind mir ja eigentlich egal, und ich werte die ganze Sache auch nicht - aber ab und zu kriegt man doch Dinge mit, von denen man lieber nichts wissen wollte. Obwohl: würde mich schon interessieren zu sehen, wie bei denen das nächste Familienfest wird. Um Walter Moers zu paraphrasieren: da kommt wohl keiner lebend raus.