31.12.04

Kein Jahresrückblick

Obwohl ich wirklich einen schreiben wollte. Aber die Schreibunlust hat sich immer noch nicht gelegt, das Gehirn ist wie in Watte gepackt und will sich nicht bewegen müssen. Außer passiver Rezeption ist nix drin, und so hör ich im Moment viel Musik und lese - Philip Roths "Portnoy's Complaint" war endlich fällig, Alain de Bottons "The Art of Travel" wird gerade verschlungen und Martin Amis "Yellow Dog" (ein Weihnachtsgeschenk der liebenden Partnerin) ist als nächstes dran.

Musikmäßig mag es als Zeichen gelten, daß momentan sowohl Beginner als auch die Manic Street Preachers' "Know your enemy" auf high rotation laufen. Heimweh und leise Besinnlichkeit haben die übliche Krachmucke abgelöst - letztere darf dann nächste Woche Dienstag beim Arbeitsbeginn wieder zu ihren Ehren kommen.

Apropos: da fällt mir doch noch ein lustiges (naja...) Geschichtchen ein. Ich arbeite ja meistens mit Kopfhörern auf und Musikuntermalung. Ich kann mich einfach besser konzentrieren bei Musik, und das Ausblendenmüssen lästiger Nebengeräusche (sprich: anderer Menschen) muß mir irgendwie in einer 2-Zimmer-Wohnung in Lohbrügge-Nord mit auf den Weg gegeben worden sein. Vor 2 Wochen hörte ich also Musik, als die liebe Kollegin A. das Büro betrat, in welchem ich inzwischen ja erst einen Monat arbeite. Kollegin A. hat schwarzgefärbte Haare, Kleidung die hier als "rebellisch", "individuell" und "unangepaßt" durchgeht, einen Rockmusiker zum Freund und wird vom Rest des Büros und der gesamten Abteilung, teilweise mit Ehrfurcht, als rock chick betrachtet.

Besonders zum Ausdruck kommt das immer Montags, wenn A. leicht angedellt im Büro erscheint und die grauen Büromäuse fasziniert ihren Schilderungen des wild-versumpften Wochenendes lauschen. Nebenbei: ich find' dieses permanente durch-andere-leben-weil-das-eigene-Leben-nix-hergibt Anbiedern mehr als widerlich - gibt's das in Deutschland in dem Maß eigentlich auch? Fällt mir hier besonders auf, vielleicht weil hier früher geheiratet wird und die Leute mit Ende 20 sich schon so verhalten wie in HH Leute mit Anfang 40 und bereits der verlorenen Jugend hinterhertrauern.Darüber, daß es hier keine 30somethings in der Szene gibt, hab' ich mich ja schon mal ausgelassen.

Egal: selbige Kollegin A. ist wirklich nett, hält sich aber tragischerweise durch die ihr dargebrachte Ehrfurcht was "Rock" angeht für im Besitz der härtesten Plattensammlung Sydneys. Da ich weiß, welche Musik sie so hört, weiß ich natürlich, daß das Unsinn ist, aber wie die liebende Partnerin dann immer sagt: it's not a competition, und darum halt ich auch immer brav den Mund, wenn eine nach meinen Maßstäben Weichspülerband Marke Magic Dirt das Prädikat "die rockten total ey!" am Montagmorgen erhält, und der Rest des Büros erschaudernd vor soviel gelebter Rockdekadenz ergriffen mit dem kollektiven Kopf nickt. Das Haus der Musik hat viele Zimmer und in vielen von denen lieg' ich auch gerne mal für ein Stündchen oder zwei auf dem Sofa.

Ich also die Kopfhörer abgenommen und freundlich einer weiterer Wochenendschilderung A.s gelauscht. A. erzählt zu Ende, wendet sich zum Gehen, kommt an meinem Schreibtisch vorbei und, wohl noch im Furor des Erzählten und Nochmalerlebens des Wochenendes, sagt zu mir: "Sag mal, was hörst du eigentlich immer so hier?". Ich murmel noch mein hier patentiertes "Ach, so 'ne Band aus England, nicht weiter wichtig" (nachdem mir in den letzten Jahren teilweise schmerzhaft klargemacht wurde, daß ich wohl meinte, irgendwas Besonderes zu sein, wenn ich es wagte Bands zu erwähnen, die meine Gesprächspartner nicht kannten. Nur in Australien ist es augenscheinlich möglich, mit spanischen Skabands und deutschem Elektronikgegniedel als arroganter Sack angesehen zu werden), als A. auch schon nach den Kopfhörern griff, sie aufsetzte und den Media Player anschmiß.

Dummerweise ging es mir an dem Tag gerade nicht so gut, und so bekam A. eine volle Breitseite dieser Scheibe von Napalm Death ab. Und zwar das romantisch betitelte "The Kill". Und zwar in voller Lautstärke. Nach ungelogen 3 Sekunden riß sie sich die Kopfhörer runter, schaute mich verstört an und fragte: "What the fuck is this??" Die Antwort wartete sie jedoch gar nicht ab, sondern stakste auf ihren hochhackigen Leopardenstilletos aus dem Raum. Ich grinste mir einen, wollte gerade was zu den KollegInnen sagen und drehte mich um....

... wo mein Blick frontal gegen eine vom Rest des Büros flugs errichtete Wand der Irritiertheit prallte. Wie jetzt, sprachen die Blicke in mehreren Bänden, was hört der ruhige Deutsche da in der Ecke bloß für furchtbares Zeug? Nur R., mit dem ich schon früher mal zusammengearbeitet hatte und der meinen zu Zeiten etwas abseitigen Musikgeschmack kennt, meinte schmunzelnd zu mir, daß ich A. ja nun wirklich hätte vorwarnen können. Der Rest des Büros behandelt mich jetzt irgendwie anders, und Kollegin A. gibt acht darauf, daß sie ihre Montagmorgengeschichten nur noch sotto voce erzählt, oder am besten wenn ich aus dem Raum bin.

Warum ich das so lustig finde, weiß ich nicht. Aber anstelle eines Jahresrückblicks auch nicht schlecht, oder?