13.5.04

Being Heinrich Himmler

Auf vielfachen (na gut, vereinzelten. Naja, spärlichen. OK, gar keinen) Wunsch hin hier mal eine kurze Liste von lustigen Sachen, die einem das eigene Selbstverständnis und den eigentlich unverrückbar geglaubten Sinn für das, was man ist, beim Emigrieren durcheinander bringen (können):

Auf einmal bin ich riesengroß

Mit 1,83 war ich in HH eigentlich durchschnittlich groß, oder zumindest nicht viel größer als andere. Niemand hat mich je "Langer" oder so genannt und ich hab' mich nie als "groß" gefühlt. In Sydney gehöre ich mit 1,83 in die Kategorie grobschlächtiger Ungestalten, vulgo: Teutonentitan. Erklärbar ist die geringere Durchschnittskörpergröße von Sydneysidern natürlich u.a. durch die Einwanderungsgeschichte von Südeuropäern und Asiaten - nicht gerade des Erdenballs längste Mitmenschen. Beim Fußball dauerte es eine halbe Saison bis mir bewußt wurde, daß die panischen "Tall guy coming! Someone on the tall guy!!" Rufe des gegenerischen Torwarts bei Ecken für uns mir galten.

Auf einmal bin ich superpünktlich

FreundInnen konnten ein Lied davon singen: kam jemand zu spät zum Spiel, war jemand nicht fertig beim Abgeholtwerden, tauchte jemand nicht rechtzeitig am Treffpunkt auf, dann war ich das. Seit ich denken kann, scheint mein Zeitverständnis am besten von Dalis Uhren dargestellt zu werden: dehnbar, flüssig und irgendwie subjektiv. Legion sind die Geschichtchen, die sich um meine Unpünktlichkeit ranken, und die Tatsache, daß ich in früher Jungmannzeit tatsächlich diverse Rendezvous mit romantisch interessierten Damen verpaßte, tut mir heute noch leid. Auch die Geschichte, wie ich mit einem Taxi morgens um 5 nach Harburg gerast bin weil ich, im Besitz sämtlicher Eintrittskarten meiner sozialen Bezugsgruppe für's Münchener Olympiastadion, die Abfahrt des St. Pauli Sonderzuges am Hamburger Hauptbahnhof verpasste, wird sich in gewissen Kreisen immer noch mit kopfschüttelndem Mitleid erzählt.

In Sydney hingegen bin ich immer pünktlich, selbst wenn ich 'ne halbe Stunde zu spät komme, und erscheine ich dann irgendwo, bin ich häufig der Erste und werde von langsam nach mir Eintrudelnden mit den Worten "Ah, war ja klar, der Deutsche wieder mal superpünktlich" begrüßt. Was in Sydney, einer Stadt in denen nirgendwo Bus-oder Bahnfahrpläne aushängen, weil das eh nur grobe Richtzeiten wären, und in der es kaum öffentliche Uhren gibt, auch nicht weiter verwunderlich ist. Während "21.00 Uhr" für mich alles zwischen Neun und viertel vor Zehn bedeuten kann, bedeutet es hier alles zwischen halb Neun und halb Elf.

Auf einmal bin ich Musterarbeitervorbild Number One

Im Duden meines Selbstbildes ist als Erklärung des Begriffes "relativ laxe Berufsauffasung" nur ein Photo von mir abgebildet. Inzwischen bei Job Nr. 17 angelangt, wenn man alle Lohnerwerbstätigkeiten miteinbezieht, die ich jemals ausgeübt habe, habe ich mich früh in die Erkenntnis gefügt, daß "Karriere" für mich wohl auf ewig die falsche Aussprache dieser Autorennbahn für Kinder bleiben wird. Höhepunkt dieser laissez-faire Berufsauffassung war wohl ohne Zweifel meine Tätigkeit als Industriereiniger bei der Firma T. in Hamburg, und da insbesondere die Schichten mit Kollege C. Mehr Details werden hier verschwiegen, um die Schuldigen zu schützen - die Worte "Holsten aus der Dose", "Sportzigaretten", "nachmittags um Zwei" und "Dienstplan kreativ abändern" mögen genügen.

Hier hingegen, im Lande des institutionalisierten Sickie (sick leave day=Krankfeiertag), bin ich auf einmal das deutsche Arbeitsmonster, bis zum Rand der konzentriert-verengten Augen abgefüllt mit Pflichtbewußtsein. Naja, zu Australien wäre natürlich u.a. Folgendes anzumerken: wenn ein gesetzlicher Feiertag auf das Wochenende fällt, wird der Feiertag eben auf den folgenden Montag verlegt, die durchschnittliche Arbeitswoche für Leute im öffentlichen Dienst wie mich ist 35 Stunden, und Gleitzeit ist nicht die Ausnahme, sondern die überall praktizierte Regel (was aufgrund des australischen Zeitverständnisses auch nicht anders möglich wäre...).

Auf einmal kleide ich mich sorgsam, mit Stil und mit individuell-modischer Note

Ich trag' immer noch dieselben Klamotten wie immer. Aaber: in Sydney, natürlich gerade im Sommer, ist alles was über T-Shirts, Shorts und Badelatschen hinausgeht, schon haute couture für Männer. Und Jeans, Kapuzenpullover und Bomberjacke geht hier eben als exotischer European look durch. Wenn man dann zufällig braune Turnschuhe zu blauer Jeans zu braunem Kapuzi zu blauer Jacke trägt, macht man sich sofort der Farbkoordination verdächtig und verrät sich damit im Nu als europäischer, stark modebewußter Mann.

Und so weiter und so fort. Nicht, daß wir uns falsch verstehen: gegen oben genanntes ist ja nix einzuwenden; so gehört die Relaxtheit in allen Bereichen des täglichen Lebens ja zu den attraktiveren Aspekten des Lebens hier (und endlich mal einer der körperlich Größten zu sein, ist auch mal 'ne nette Abwechslung...). Nur: ohne irgendwas an mir verändert zu haben, bin ich auf einmal völlig verändert worden in den Augen der Betrachter. Und falls es stimmt, daß wir uns nie wirklich selber wahrnehmen, sondern uns immer nur durch das Prisma Dritter widergespiegelt sehen, spiel ich jetzt endgültig die Hauptrolle in Being Heinrich Himmler.

Das ganze geht natürlich auch wieder ganz anders, wie in einem älteren Beitrag hier schon angedeutet, also nicht nur vom Egal-nur-durch-Zufall-der-Geburt-Deutschen zum Musterdeutschen, sondern auch auf anderen Gebieten. Das drösel ich später vielleicht mal auf, jedenfalls: damit hatte ich nicht gerechnet und diese Relativierung und dieses Umdeuten und -interpretieren des eigenen Ich gehört auch immer noch zu den faszinierendsten Seiten des Exilantentums. Und den frustrierendsten.