15.3.06

Satan Motherfucker - Ein Abend in North Hobart

Frisch aus dem Flugzeug gefallen an einem Donnerstagabend, scharwenzelten mein Bruder und ich durch North Hobart. Jetzt erstmal 'n Bier. Und obwohl Hobart Haupstadt Tasmaniens ist, ist das Suchen nach einer geeigneten Lokalität gar nicht mal so einfach - kein Wunder, bei lediglich 200.00 Einwohnern und einer legendären Rückständigkeit in Sachen sozialer Gesetzgebung. Homosexualität z.B. war in Tasmanien offiziell illegal bis, festhalten jetzt, 1997. Und so erwarteten wir auch nicht viel, außer vielleicht ein paar Banjo spielenden locals. Aber weit gefehlt: direkt um die Ecke landeten wir vor der Trout Bar, einem Laden den es bei meinem letzten Besuch vor 3 Jahren noch nicht gab. Der Barmann hatte einen Iro, das spärliche Publikum sah nett aus - hinein. Da nahm man auch hin, daß man sich der spezifisch tasmanischen Zwickmühle aussetzen mußte: im Pub darf nicht geraucht werden, und nach draußen zum Rauchen darf man das Bier nicht mitnehmen, denn Alkoholgenuß in public führt zu Anarchie und Umsturz.

Aber schön gemütlich war's trotzdem. Alle Probleme dieser Welt wurden handlich eingetütet, nachgeschmeckt, gewogen und schlußendlich, wie es sich gehört, für zu leicht befunden und das leckere tasmanische Bier tat sein Bestes. Und - Bonus! - es gab Livemusik! Ein zarter und scheuer junger Mann betrat barfuß die Bühne, welche aus einem abgewetzten Sofa und einer Stehlampe bestand, und troubadierte aufs Gefälligste. Irgendwie paßte das alles zusammen, der Laden, die Musik, die Gesellschaft, die Gespräche, eine Sternstunde der Symbiotik. Zur fortgeschrittenen Stunde wechselten wir dann allerdings die Getränke aus und die Spirituosen kamen ins Spiel. Das Gespräch wurde lebhafter, wir wanderten von unseren behäbigen Lehnstuhlpositionen in der Lounge an die immer noch äußerst spärlich besetzte Bar. Das Blickfeld verengte sich und Fokussieren wurde eine Sache für sich. Mein Bruder erklärte mir, wie groß der Fisch war, den er neulich fing, jedenfalls glaub' ich, daß wir über Fische sprachen.

Die Zigarettenpausen wurden jetzt auch immer zahlreicher. Wir bemerkten, daß sich sonst niemand der Anwesenden an die rüde Notiz an der Tür hielt und wie selbstverständlich Gläser und Flaschen mit nach draußen nahm, wie es ja auch sein soll. Es hatte etwas Merkwürdiges, nach 7 1/2 Jahren wieder mal mit einer Flasche Bier auf dem Bürgersteig vor einer Kneipe zu stehen - in Sydney ist das drinking in public zwar auch illegal, aber es besteht eben keine Not dies zu tun, da man in Pubs noch rauchen darf. Nehmen wir dazu die (relative) Kühle des Abends, reichlichen Alkoholgenuß und die Anwesenheit meines Bruders und man fühlte sich zurück- bzw. auf fast prophetische Weise vorversetzt in die Hansestadt.

Und gerade als wir dachten, Schade, jetzt paßt die Musik so gar nicht mehr, wat mit Schmackes wär jetzt nicht schlecht, und gerade als die anderen Anwesenden, offensichtlich samt und sonders mit dem scheuen Bänkelsänger in einer Studenten-WG wohnend, ihn anfeuerten, jetzt doch mal something else zu spielen, da verwandelte sich das Trout geradezu in ein Tollhaus. Wie bestellt. Einer unglaublich schrägen Version von Personal Jesus von Depeche Mode folgte eine Mundharmonikaeinlage des Gastes Mit Der Emo-Frisur, welche angesichts seiner Hagelsturztrunkenheit überraschend gut ausfiel (Ihr seht ihn da rechts auf dem Photo, sitzend und klatschend). Und schließlich die Krönung, die Zugabe, der letzte Song: die sonst so engelsgleichen Züge des Barden verzerrten sich häßlich, er schredderte mit dem Plek über die Gitarre wie unsereiner mit der Möhre über die Küchenraspel und bot die wahrscheinlich beste Death Metal Nummer dar, die ich je auf einer akustischen Gitarre gehört habe. Keine Ahnung, ob das eine Eigenkomposition oder Coverversion war, aber meine Fresse, was hab' ich gelacht. Man müßte wohl dagewesen sein (und etwas von den Konventionen eines "normalen" Death Metal Stückes verstehen), um das richtig zu werten, aber: da saß dieser schmale Jüngling auf diesem abgewetzten Sofa, vor 20 Freunden, dem Barmann, meinem Bruder und mir, in North Hobart, an einem Donnerstagabend und rockte das Haus, das es eine Art hatte. Er schüttelte wild die Locken und kreischte immer wieder, in dieser speziellen Death Metal-Höhenlage: "Satan! Motherfucker! Satan Motherfucker! Satan! Motherfucker!", natürlich unterlegt von einem fiesen Riff nach dem anderen - daß man aus einer Akustikwandergitarre so einen Sound rauskriegen kann, dachte ich noch, als des Jünglings Freunde das Sofa stürmten und abwechselnd die Gesangsteile des Stückes übernahmen, die man im Death Metal gemeinhin als "Grunzen" bezeichnen könnte. Interessanterweise hatte dabei eine recht hippiesk aussehende junge Frau von ca. 22 Lenzen die beeindruckendste Stimme - wie Teer, der träge über Nägel fließt. Dabei hätte sogar der immer noch bekreischte "Satan! Motherfucker!" Schiß gekriegt. Großer Song, großer Abend.

Dann gingen wir zur Jugendherberge und schliefen selig lächelnd ein. Vielleicht hätten wir damit warten sollen, bis wir an der Jugendherberge ankamen.