11.2.06

Gezeichnet

So... Wo hab' ich denn gleich mein hohes Roß gelassen... Ach ja, hier. Tjtjtjtj! Ruhig Brauner, brrrr. Frisch aufgesessen und...

GEHT'S DENN NOCH??? Ich wollte mir zu dem ganzen Mohammedcartoonkram ja keinen Kommentar abkneifen, aber nach einer Woche des Querlesens europäischer Presse muß man ja doch feststellen, daß Europa als solches es wirklich noch nicht geschnallt hat. Natürlich sind die Karikaturen ganz billiger, schnöder Rassismus. Punkt und aus. Und jetzt komme mir keiner mit "Satire' oder so'm Zeugs. Aufgemerkt: Satire richtet sich gegen ein bestehendes Machtverhätnis. Kein Machtverhältnis, keine Satire. Mal ein aktuelles Beispiel aus Australien: Der hiesige Gesundheitsminister, Tony Abbott, ist nicht nur bekennender Katholik sondern itzo auch bestrebt, die Einführung der "Abtreibungspille" RU 486 zu verhindern; eine Pille im Übrigen, die u.a. in Neuseeland, vielen europäischen Ländern und den USA (!) zugelassen ist. Seine Opposition gegenüber RU 486 habe natürlich rein gar nix mit seinem Glauben zu tun, läßt der Imam Gesundheitsminister verlauten.

Gemerkt, Europa? Ein von religiösem Wahn Verblendeter zwingt dem Rest der Gesellschaft seine fundamentalistischen Ansichten auf. Über SOWAS macht man Cartoons, über ein reales Machtverhältnis, und nicht über Muslime in Europa, die ja nun wirklich eher wenig zu sagen haben. Anders gesagt: eine europäische Zeitung hat sich gefälligst um ihren eigenen Dreck zu scheren. Noch anders gesagt: dieselben Cartoons wären andererseits natürlich OK, wenn sie im Mittleren Osten hergestellt worden wären. Aber was soll man von Europa auch groß erwarten. Was von außen extrem auffällt ist dies: so weit ich sehen kann, sind so ziemlich die einzigen, die in der "Neuen Welt" (AUS, USA, NZ, CAN) die Karikaturen positiv bewerten, extrem rechte wingnuts und anderes Geschmeiß. In Europa dagegen: Le Monde und ein Gutteil der sog. bürgerlichen Mitte, von der, HarHar, "deutschen Linken" mal ganz zu schweigen. Merkwürdigerweise hat außerhalb Europas auch so ziemlich jeder begriffen, worum es eigentlich geht und zwar Ratzfatz. Hullabaloo hat's erfaßt:
If I think of nasty satire, I think of Voltaire flaying Leibniz's optimism or of Philip Roth's Tricky Dixon in "Our Gang." But it's striking: The objects of satire are often - always? - respected authority figures or ideas within the culture of the satirist. WITHIN the culture, not OUTSIDE the culture. Even in Evelyn Waugh's Scoop, the object of satire is not really the third world country to which Bill Boot has been booted by an editor who confused two Boots. It's the British press's hopeless, corrupt reporting from such countries. The satire was directed directly at institutions that were part and parcel of Waugh's upper class British Twitworld. In contrast, as I see it, Islam is not part of mainstream Danish culture. Mohammed has no genuine cultural authority the way, say, the royal family might. To call the cartoons satire, therefore, seems to me inaccurate. It's simply ridicule, and ridicule of a figure from a culture that, from within Denmark - the satirizing culture - is Other. Danes are heaping scorn and humiliation on someone's religion, someone who is not Us. Someone who doesn't look like us, doesn't act like us, doesn't think like us, isn't as rich as us. And just can't be us.
Auch in Neuseeland sieht Russell das so:
And I remember my North London Jewish friend saying certain things (sometimes involving the phrase "Hassidic bastards...") and then reminding me that he could say such things but I could not. Of course. It's never been any different. Much of Billy T. James' humour wouldn't have been funny from the mouth of a Pakeha.
Na klar dürfen Zeitungen publizieren was sie wollen, darum geht's doch gar nicht, dieses ganze "Freiheit der Presse"-Argument ist doch ein Strohmannschmonzes erster Güte. Wie Tom ganz richtig dazu anmerkt:
[J]ust because you can be an asshole, it doesn’t necessarily follow in every case that you should.
Und wen treibt man den Islamofaschisten mit diesem ganzen als Aufklärung und Verteidigung liberaler Werte sich gerierenden "Ausländer Raus!" Scheiß geradezu in die Arme? Solch eigentlich völlig un-islamistische Spießbürger wie Ihsan Öner:
Vor 30 Jahren kam er nach Deutschland, studierte Bauingenieurwesen und gründete im Bauboom nach der Wende ein eigenes Unternehmen. Jahrelang engagierte er sich im Ausländerbeirat der Stadt Mainz, veranstaltete deutsch-türkische Freundschaftsfeste und ist bis heute Präsident des Verbandes türkisch-europäischer Unternehmervereine. Vor zwei Jahren dann wurde Ihsan Öner Deutscher, kandidierte im Kommunalwahlkampf für die CDU. Trotzdem sagt der 50jährige heute: "Wenn ich könnte, ich würde morgen ausreisen." (...) "Ich habe genug davon, mich ständig rechtfertigen zu müssen. Meine Kinder fühlen sich ausgegrenzt, nicht als deutsche Staatsbürger anerkannt." In der Schule, auf der Straße, im Bus, überall werde ihnen das Gefühl vermittelt, "daß sie nicht zu dieser Gesellschaft gehören."
Und was soll überhaupt dieser Rechtfertigungskram, den ich in der deutschen Presse überall lesen muß?? Gibt's schon wieder Sippenhaft in Deutschland, hab' ich was verpaßt? Um auf das obige Beispiel mit Tony Abbott zurückzugreifen: geh ich jetzt etwa zu unserem befreundeten italo-australischen Ehepaar T. und A., die genauso lax katholisch sind wie die meisten Hamburger protestantisch und fordere die auf, sich gefälligst zickzack von Abott zu distanzieren, oder was?? Ist jemals ein Zeitungsartikel in Deutschland erschienen, der Maria Jepsen aufgefordert hätte, doch bitte mal Stellung zur UDF in Nordirland zu beziehen, so als Mitglied derselben Glaubensgemeinschaft??

Olivier Roy in Newsweek (Newsweek! Blöder als der Focus, und sogar die haben das geschnallt!) sieht's richtig:
First: for European Muslims, the affair is not so much a matter of what is permissible in Islam as it is about discrimination. Representing the prophet's face, per se, antagonized them far less than his portrayal as a terrorist. As these modern Muslims see it, the Danish cartoonists in effect have contributed to a wave of Islamophobia and Muslim-bashing sweeping Europe. (...) Instead of demonstrating the unity of the Muslim world, the protests underscore its division: a recidivist old guard determined to protect its power and hidden interests versus the growing community of modernist Muslims. They consider themselves first and foremost to be Europeans—and they quite simply do not want to be treated as immigrants, or insulted.
Wie man sich in der Emigration verändert, wenn einem jeden Tag aufs Brot geschmiert wird, daß man hier nichts zu suchen und sich gefälligst vom Acker zu machen habe, dazu hätte ich auch noch einiges zu sagen...

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