19.1.06

DAS kann man essen?? Teil 6

Jetzt hätte ich doch fast vergessen, meine kleine Speisenserie fortzusetzen...

Lemon Ants in the Daintree

"Von wegen kalt / im Regenwald", kalauerte die Ex vor sich hin, als wir uns in unserer Mitsubishi Sigma Autoimitation um vierundsechzig Ecken schwitzten, damals im Dezember 1992, im Daintree Regenwald im Nordosten Australiens. Urwaldpistentauglich war die Karre natürlich nicht, aber man hatte uns gesagt, daß die Straße auf den ersten 20 Kilometern von Holzfällertrucks regelmäßig befahren würde und selbst wenn wir mit Achselbruch liegen blieben wir uns keine Sorgen machen müßten. Warum die Aussicht, eventuell hinter jeder sattgrün überwucherten und überhaupt nicht einsehbaren Haarnadelkurve von einem 1000-Tonner überrollt werden zu können beruhigend wirken sollte, war uns damals schon nicht ganz einsichtig. 1992 war die Straße natürlich auch noch nicht geteert, sondern bestand hauptsächlich aus Schlaglöchern und den zermahlenen Knochen verhungerter deutscher Alternativrucksacktouristen.

Wir kamen schließlich an unserem Backpacker an und ließen es uns eine Woche wohlgehen. Meistens schliefen wir lange, lasen viel, hingen am Pool ab oder gingen mit D. spazieren. D. war Junge-für-alles im Backpacker und nahm uns mit, wenn ihm die Decke der Waschküche auf den Kopf fiel und er durch den Regenwald streifte. Ohne D. wären wir auch nicht gegangen. Der Daintree war damals noch relativ unerschlossen und wer sich schon einmal im Sachsenwald verirrt hat wie ich (Ahem...), kann sich vorstellen wie schnell man in einem prähistorischen Ökosystem verschütt gehen kann. Außerdem gibt's da oben interessante Nattern und spannende Spinnen, die einen nur durch's Angucken um die Ecke bringen können. Selbst einige Pflanzen sind dort auf eine äußerst unangenehme Art aggressiv und strecken ihre mit Dornen und Widerhaken bewehrten Blätter tückisch in die Luft. So'n büschen local knowledge kam da ganz gut.

Eines Tages trapsten wir also wieder mal durch's Gebüsch, als D. plötzlich vor einem Baum anhielt, der einen veritablen Bauchtanz aufzuführen schien - die gesamte Rinde waberte und pulsierte vor unseren Augen. "Cool," sagte D., "Zitronenameisen! Lecker!" Sprach's, griff sich eine Handvoll Wuseligkeit vom Stamm und stopfte sie in seinen Mund. Ein paar Ameisen liefen über seinen Handrücken und er packte eine vorsichtig zwischen zwei Fingern. Er streckte sie mir entgegen. "Hier, probier mal. Sind wirklich lecker!"

Ich eß (fast) alles und hab' etwaiger Krüschheit schon in frühester Jugend entsagt. Ich hatte allerdings noch nie etwas gegessen, daß zum Zeitpunkt der Speisung noch lebte, auch wenn es nur Ameisengröße hatte. Die Ex grinste mich an, wußte sie doch von meinen großsprecherischen Ansagen, unbedingt bush tucker probieren zu wollen. Es half nichts: wollte ich vor der Ex nicht als Und-Nichts-Dahinter dastehen (und, wollen wir nicht lügen, vor D. als verweichlichtes Weißbrot), mußten jetzt wohl Taten folgen. Wat mutt, dat mutt, secht de Hamborger.

Es ist eine durchaus bemerkenswerte Sache wenn man fühlt, wie einem der Mittagssnack über die Zunge krabbelt. Geradezu höhlenmenschlich wird es, wenn man dann besagten Snack - ein Lebewesen - mit der Zunge am Gaumen zerdrückt. "Der Atavistisch ist gedeckt!" rumorte es durch meine kurzzeitig gepanikte Wortspielanhangdrüse.

Aber was soll ich sagen: die Dinger schmeckten echt nach Zitrone. Und auch gar nicht mal schlecht! Selbst wenn man nur an ihnen leckte, wie an einem sechsbeinigen Zitronenlolli mit Fühlern, schmeckten sie nach Zitrone! Da hab' ich glatt noch 'n paar mehr mit D. gegessen. Wirklich: gar nicht mal übel. Später, am Strand einer der vielen einsamen Buchten, saßen wir im warmen Sand und spekulierten darüber, ob es in Ameisenkinos wohl eine Ameisenversion von King Kong gibt. In der ein riesiges Ungetüm unschuldige Ameisen mitten in der Hauptverkehrszeit von der Bark Avenue pflückt und sich mir nix dir nix einverleibt, während das zuschauende Ameisenpublikum sich mit den Antennen die acht Augen zuhält und schaudernd die Beinchen reibt.

Da hatten wir allerdings auch schon was geraucht.

[pic from Touring Australia]