26.8.05

Starfuckers Incorporated oder Nägel mit Köpfen machen - NINE INCH NAILS, 20/08/2005, HORDERN PAVILION

Tscha, die Neunzollnägel (jaja, "Zoll" nicht gleich "inch", ich weiß). "Geh'n wa Gruftis gucken!", wie Freundin M. schon freudig bemerkte, als ich sie von der anderen Seite der Bucht abholte. Der Welt größter Fan war ich nie, und 80 A$ (knapp 50 Euros) sind am Unverschämten auch verdammt nah dran. Aber was soll man machen, wenn man in Sydney wohnt, nach knapp 7 Jahren wirklich ALLE australischen Bands schon durch, gesehen und über hat, inklusive New-Age-Gepingel, Black-Metal-Firlefanz und Free-Jazz-Nudeleien, und man auch gerne mal internationales Entertainment sehen möchte? So mußten eben Nägel mit Köpfen gemacht werden. Das Elend, am Arsch der Welt zu leben, faßt George Palathingal in seiner guten Kritik im Sydney Morning Herald dann auch präzise zusammen, auch wenn er das wahrscheinlich anders meinte:
All are here to "bow down before the one they serve" - Trent Reznor - at only his third Sydney appearance in 16 years of making intense, harrowing electronic rock as Nine Inch Nails.

Habt Ihr's gesehen? NIN, nun wirklich nicht eine Band, die sich in Europa irgendwie rar gemacht hätte, kommt so im Schnitt alle 5 Jahre und 4 Monate mal nach Sydney. Und die sind ja noch relativ groß - sagnwamal: alles, was kleiner ist als NIN kommt eh nicht. Aber ich wollte ja nicht meckern, sondern vom Auftritt erzählen.

Schön war's! Fette Beats und Bässe, die die Magenschleimhaut sachte abzulösen sich bemüht waren, bunte Lichter allüberall, und ein sich dermaßen rein- und abschaffender Trent Reznor, daß es sogar mich als lediglich groben Sympathisanten der Band zum Tanzen riß. Twiggy Ramirez (oder Jeordie White, wie man jetzt wohl sagen sollte) war auch Mr Übercool in Person; wie überhaupt die gesamte Band zu überzeugen wußte, zumindestens mich. Auch M. war ganz angetan, also musikalisch und showmäßig durchaus mindestens 50 Dollar wert.

Und so ganz ohne Vorbildung bin ich ja auch nicht, was die NIN angeht. Wer wie ich in den Neunzigern auf eindeutig zuvielen Studentenpartys war, kennt eh alle Hits: Starfuckers Inc., Head Like A Hole, Closer, We're In This Together, (natürlich) The Perfect Drug... Und da diese auch alle brav gespielt wurden, war ich es auch zufrieden. AABER: die neue With Teeth Scheibe ist auch gar nicht so übel! Je öfter ich die höre, umso besser gefällt sie mir, auch wenn ich lieber das Chilli von Gitarren und Gebrüll in einer etwaigen Weltschmerzsuppe schmecke als das Fenchel, Thymian und Lorbeer von loops und Gruftbaß, aber das ist ja Geschmackssache. Jedenfalls wurden diverse ganz hervorragende Lieder der With Teeth gespielt, und das waren mir glatt zusätzliche 20 Dollar wert.

Die restlichen 10 Tacken des Ticketpreises riß dann allerdings das Publikum raus. Wie George Palathingal schon bemerkt:
It can't be easy being a Goth in Sydney. The city's vibe is too upbeat and that pesky sun not only threatens to tan delicate complexions, it also makes the place too damn uncomfortable to wear layer upon layer of heat-soaking black.
Eben. Aber sie taten es trotzdem und sich mit Lack, Leder und Latex an. Ich geh gerne Gruftis gucken, denn sie sind interessant anzusehen und lassen das Warten auf den Auftritt zu einer äußerst kurzweiligen lästermäuligen Angelegenheit werden. Mir gefiel der Latexpapst am Besten - obwohl Papst Ratzefummel da doch deutlich beunruhigender wirkt. Tragisch waren nur die ganzen aufgeschnatzten Enddreißigerinnen, deren körperliche Gegebenheiten, so etwas tragen zu können, diametral entgegengesetzt zu ihren Outfits standen. Wie meine Freundin K. neulich am Telefon meinte: ab einem gewissen Alter und Gewicht sollte der Girlielook den girlies vorbehalten bleiben. 3 von denen drängelten sich unter TRENT! TRENT! Rufen plötzlich vor uns, was mich zu dem zugegebenermaßen unschönen Kommentar "Ist hier Frisösentreffen oder was?" hinreißen ließ. Aber eigentlich beweist es doch, daß NIN eben die Kruder und Dorfmeister für Leute sind, die auch Anne Rice lesen und Jim Burton Filme gucken - und das mein' ich jetzt ausnahmsweise mal nicht so bissig, wie es klingen mag. Jedem Tierchen sein Plaisierchen.

Zum Abschluß muß ich noch die armen (und ebenso tragischen) Jungmänner erwähnen, die sich vor dem Auftritt kurz in Mamis Schminkschatulle austobten und sich massenhaft Eyeliner, Kajal und Mascara in die vom Schicksal gramzerfurchte Visage (das Leben kann so hart sein als angelsächsischer Privatschulenbub in Sydney, der von Mami nach dem Konzert im Familien-BMW abgeholt wird...) dilettierten. Dummerweise ist Trent Reznor wohl, seitdem er Drogen- und Alkoholabstinenzler geworden ist, regelmäßig in die Muckibude gelaufen, hat sich die Haare kurzgeschoren und sieht jetzt eher wie Henry Rollins aus als seine androgynen Bandkollegen und sein altes Ich. Nun denn, ich denke, die Jungtrents im Publikum haben ihre anfängliche Verblüffung überlebt, daß der Held ihrer Jugend nun aussieht wie ihr Onkel Bob vom Militär und so gar nicht mehr vergeistigt.

Zusammengefaßt: wirklich ein netter Abend, Danke nochmal, M.!