8.7.05

Einfach mal aus London beim Radio in Sydney anrufen und stoisch sein

Mit einem Post 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen, so soll es sein. Da überlegt man sich den ganzen Morgen auf dem Weg zur Arbeit, nachdem man gestern Abend 4 Stunden ITV, BBC World Service und CNN geguckt hatte, denn die hiesigen Sender hatten natürlich mal wieder gepanikt, das Ende der Welt erklärt und sofort ALLE auf nichtaustralische Medien umgestellt, genau wie 2001... was wollte ich sagen? Ach ja, ich überlegte mir also den ganzen Morgen, wie ich dieses Gefühl des völligen Befremdens meinerseits über die australische Reaktion zu den Attentaten in London am Besten ausdrücken könnte hier, ohne die Bomben in London dabei zu verharmlosen. Außerdem schwirrt mir seit einigen Tagen wieder mal im Kopf herum, daß ich endlich mein Buch mit dem Titel "Gegenwärtige Kommunikationstechnologie - geil wa??" schreiben sollte, und wollte dazu bloggen, aber ich hatte keine Zeit, irgendetwas zu Bildschirm zu bringen.

Und dann bekam ich ein Geschenk in Form eines Anrufers. Ich muß das alles gar nicht selber schreiben - ich kann einfach nur beschreiben (und das ist wirklich 100% passiert):

Ich hörte wie jeden Morgen also Sydney Lokalradio, und es meldete sich ein Anrufer, der sich an einer Diskussion (die sich eben NICHT um die Attentate drehte - ging irgendwie um den Verkehr hier in Sydney oder ähnliches) beteiligen wollte. Der sagte dann auch, was er zu sagen hatte, in einem ausgeprägten Londoner Akzent, und der Moderator fragte ihn, ob er zufällig aus England komme. Ja, tue er. Ob der Verkehr in London denn schlimmer sei als hier, usw. So ging das ein paar Minuten, bis der Moderator ihn dann fragte, ob er denn jetzt gerade zur Arbeit fahren würde. Daraufhin sagte der Anrufer, daß er aus London anriefe - er hätte 2 Jahre in Penrith gewohnt, lebte jetzt aber wieder in London und höre diese Sendung über's Internet, und wollte einfach mal durchrufen und seinen Senf dazugeben, mit dem Nebensatz, daß das Gespräch ihn auch nicht mehr kosten würde als bei seiner Tante in Schottland anzurufen. Coole Scheiße, oder?

Nun denn. Da witterte der gute James aber seine Chance: ein echter Londoner am Telefon, aus London, am Abend (Londoner Zeit) der Bombenanschläge! Und so hagelten die Fragen auf den eigentlich ja nur schnacken wollenden Londoner ein: Wie furchtbar war es genau? Wie schlecht fühlt er sich? Wie entsetzlich sei es? Was für Untermenschen würden so etwas machen? Wie schlimm geschockt sei London? Sei das das Schlimmste, was ihm je passiert sei? Ganz Australien fühle mit London, Sympathie, SchockHorrorEmpörungEntsetzen usw.etc.pp.... Der derartig Angegangene erwiderte zunächst recht sachlich eben das, was man als normal denkender Mensch erwidern würde: furchtbare Sache, wünscht man keinem, Verbrecher, die sowas anrichten, müssen erwischt werden, Mitleid mit Opfern und deren Familien...

Aber dann hörte man, nachdem James drängte und drängte und drängte (So nach dem Motto: "Jetz sei mal endlich so geschockt wie wir Australier!!"), daß der Anrufer leicht genervt wurde: er wäre nicht in der Nähe gewesen, er arbeite woanders, und ja, natürlich könne er schlafen heute Nacht (trotz der natürlich schlimmen Sache), und na klar werde er die Tube wieder benutzen, wieso auch nicht? Um dann dem Spuk ein Ende zu machen mit: "James, ich hab' ja mal in Penrith gewohnt. Ich weiß, daß du das vielleicht nicht verstehst, aber wir sind das gewohnt. Meine Eltern haben den Blitz durchgemacht, und in den 70ern und 80ern hatten wir die IRA. We'll get through this, too. You know, it's not the end of the world!" Sprach's und verabschiedete sich höflich.

Und da war James erstmal platt und rang fast hörbar nach Luft. Und ich stellte wieder einmal fest, daß ich (und der Londoner Anrufer, und wahrscheinlich Millionen anderer Europäer) für dieses Land einfach zu erfahren und abgebrüht bin - was nicht an mir liegt, sondern an dem dornröschengleichen Schlaf und der fast schon grenzdebilen Naivität, die diesem Land durch jahrhundertelange Isolation vom Weltgeschehen eben eigen ist. Tut mir leid, wenn das fiese und/oder arrogant klingt, aber ehrlich jetzt: die Leute hier knallen mehr durch als meine diversen Freunde, die tatsächlich in London leben und die zum Glück alle in Ordnung sind. Nebenbei: einer meldete sich trocken per Massenemail bei allen seinen FreundInnen mit: "I'm fine. Hope those of you in London are too". Das war der gesamte Text der Email. Vergleicht das mal mit den geradezu hysterischen Berichten in der Presse hier.

Irgendwas stimmt da nicht in der australischen kollektiven Psyche.