30.1.05

Meine Kollegin E.

Meine Kollegin E. sitzt auf ihrem Schreibtischstuhl und erzählt wieder mal aus dem altdeutschen Nähkästchen. Zwischendurch wirft sie mir kurze Seitenblicke zu, die zu gleichen Teilen fragend nach Bestätigung suchen und mir warnend zu verstehen geben wollen, daß ich ihr jetzt besser nicht in die Geschichte fahre wenn ich weiß was gut für mich ist; das ganze untermalt von einer Grundierung Faszination, Respekt, Angst, und fast-Haß. Wie kommt es nun zu dieser speziell australischen Gefühsmelange? Erlauben sie mir, auszuführen...

Dadurch, daß Australien so weit entfernt von Europa liegt, und der gemeinen Australierin quasi mit der Muttermilch und durch die spätere Schulbildung zumindest unterschwellig mitgegeben wird, daß Europa und ganz besonders natürlich Großbritannien das eigentlich Zentrum menschlichen Seins und Geschehens sind (als ehemalige britische Kolonie, die ja immer noch Queen Elizabeth II als Staatsoberhaupt hat, ja auch nicht ganz unverständlich) wuchs auch E. wahrscheinlich mit dieser inneren Zerrissenheit auf, zwar Australierin zu sein, aber gleichzeitig auch irgendwie Engländerin zweiter Klasse. Als Extrembeispiel dieser Haltung sei hier mal der ehemalige konservative australische Premierminister Menzies (an der Regierung von ca. 1950 bis Mitte der 60er!) genannt, der, obwohl in Australien geboren und obschon seine Eltern auch schon in Australien geboren waren, von Großbritannien wie selbstverständlich als "Heimat" sprach und Australien auch öffentlich gerne als "verdammte Insel" und so titulierte.

Nun denn, Kollegin E. ist so alt wie ich und damit der "kosmopolitischen" (oder was man hier dafür hält) Generation zugehörig, die sich von England ab- und Europa zuwandte. Will sagen, E. lernte in der Schule Deutsch und ging dann in ihren 20ern für ein paar Jahre nach Deutschland, ich glaube nach Bayern oder Schwaben. Nun wird diese Art Interesse am nicht-englischsprachigen Ausland in Australien immer noch recht mißtrauisch beäugt und ich kann mir gut vorstellen, was die arme E. sich in der Schule, an der Uni und evtl. in der Familie für Hänseleien anhören mußte, gerade weil sie aus einer eher ländlichen Gegend stammt. Dieses Gefühl der Isolation ist dann aber dummerweise in eine ungesunde und gänzlich unkritsche Faszination mit Deutschland und allem Deutschen umgeschlagen. Und da ist sie bei mir ja an den Richtigen geraten...

Ich hab' den Eindruck, daß E. sich sehr lange als Deutschlandexpertin generiert hat nach ihrer Rückkehr nach Australien. Sie hat sich auch einen Verlobten namens S. mitgebracht aus Tübingen oder Ulm oder sonst einer dieser Zuckerbäckerstädtchen; und ab und an hält sie dann Hof und plaudert darüber, wie "Deutschland" denn ist und was in "Deutschland" so passiert. E.s Deutsch ist fast fehlerfrei, aber eben nur fast, und ihr Wissen über "Deutschland" ist durchaus fundierter als das aller anderen nichtdeutschen Australier, die ich je hier getroffen habe, aber eben begrenzt. Das alles wäre nicht weiter erwähnenswert normalerweise, aber dann passierte eben die erste Anekdote vor 2 Monaten. Es ging um Ostern und E. erzählte, wie schön Ostern in "Deutschland" wäre, wie die Bauern von Dorf zu Dorf zögen in ihren Prozessionen mit Lämmern und dem das Kruzifix tragenden Dorfpfarrer... Die aus Laos stammende Kollegin T. und R. aus den Phillippinen drehten sich zu mir und sagten: "Oh, wie schön, hast du das auch immer gemacht?"

Im Nachhinein ist mir jetzt auch klar, daß ich an dieser Stelle hätte lügen sollen. Aber Diplomatie ist meine Sache nicht immer, und außerdem bin ich schließlich gefragt worden. Also hab' ich natürlich gesagt daß, nein, wo ich herkomme macht man sowas nicht, und wir essen auch das von E. angesprochene Osteressen nicht (wat weiß ich was das war, irgendso'n bayerisches Gedönsel). E.s Reaktion war in ihrer unterdrückten Heftigkeit dann doch überraschend - sie meinte "Naja, du bist ja auch aus dem Norden" (als wäre dies an sich Erklärung genug für meinen unbotmäßigen Einwand), brachte ihre story zu Ende und schoß mir Blicke zu, die Töten wollten, wenn sie denn gewußt hätten, wie. Auch an das ein paar Tage später erfolgende Rassismusdebakel erinner ich mich noch gut, als E. ernsthaft behaupten wollte, daß es in "Deutschland" nicht so viel Rassismus wie in Australien gäbe, und ja überhaupt alles besser wäre dort. Nun malt sich natürlich jeder die Welt, wie sie ihm/ihr gefällt, aber so'n Schmonzes konnte ich dann doch nicht im Raum stehen lassen, und nach der freundlichen aber bestimmten Erwähnung von Worten wie "Naziskins", "Rostock-Lichtenhagen", "Leitkultur" und "NPD Landtagswahl" war dann auch Ruhe, nicht ohne daß sie eine Schnute zog wie ein kleines Kind, dem man gerade den Schnuller weggenommen hat.

Das ganze war mir ein Rätsel, ehrlich. Bis ich draufkam: E. war immer und überhaupt die "Deutsche", und hat sich mit der Zeit wahrscheinlich ihre Identität aus deutschen Wohlfühlfasern gestrickt; und jeden Tag gab's Deutschländerwürstchen für's vom australischen mainstream isolierten Gemüt. Sowas kennt man ja auch in Deutschland unter z.B. den sich selbst so herrlich altbacken "Irlandfans" nennenden Philokelten, die auch gerne die katholische Kirche Irlands und die Unterdrückung der Frauen beiseite lassen, weil "die Iren so locker und freundlich sind, ganz anders als die stieseligen Deutschen, von denen ich natürlich keiner bin"; oder auch diese deutschen Australienadepten... Das sind dann Gestalten, die in Internetforen rumgeistern, ihr Dasein in Iserlohn und Rosenheim verfluchen und ihre australienverherrlichenden Botschaften (in denen z.B. der Zustand der Aboriginal Nations oder das Umgehen mit Flüchtlingen hierzulande ganz Klasse links liegengelassen wird) mit "koalastarke Grüße nach Down Under" oder so beenden. Traurig sowas. Das Leben im Allgemeinen ist eben keine bunte Welt von Benetton, und dem Verallgemeinern auf irgendwelchen eingebildeten Nationenebenen höchst abträglich.

Egal, jedenfalls hatte E. sich ihre Nische schön zurechtgebaut. Und dann kriegt sie einen wie mich ins selbe Büro gesetzt: einen antinationalen Deutschen der besser deutsch spricht als sie und mehr über Deutschland weiß als sie, und "Deutschland" als Idee schon bestreitet, geschweige in der praktischen Ausführung. Und wie sie damit jetzt umgehen soll, das weiß sie wohl nicht so ganz. Ich jedenfalls halte bei E.s deutschen Heldensagen (von denen die meisten, offen gesagt, ins Reich der Fabeln gehören - wußtet ihr zum Beispiel, daß man in ganz Deutschland katholisch ist? Oder daß Frauen in Deutschland völlig gleichberechtigt sind?) jetzt brav den Rand und denk mir meinen Teil.

Auch das gehört zum Woandersleben: man lernt, daß das zwischen den Stühlen sitzen zwar nicht bequem sein mag. Aber interessant ist es allemal.