20.9.04

Katzenstreetfighter (The Return of)

Prolog: die Stadtteile Newtown und Redfern liegen ca. 1 Kilometer auseinander, getrennt durch den Mikro-Stadtteil Macdonaldtown und den Eveleigh Rangierbahnhof. Früher, in den Dreißiger Jahren, war die ganze Gegend ein durchaus härteres Pflaster als heute und für Polizisten gelegentlich auch no go zone - die damals in Teilen Newtowns und quasi in ganz Redfern ansässige weiße Arbeiterklasse war von der nagelharten Dockarbeiter- und Stahlschmiedesorte und einer gelegentlichen Hauerei mit der verhaßten Ordnungsmacht nicht gerade abgeneigt. 1931 zum Beispiel versuchte die Polizei, diverse Häuser in der Union Street in Newtown zu räumen, welche von in der Depression arbeitslos gewordenen Arbeitern und ihren Familien besetzt worden waren. Der Sydney Morning Herald schrieb damals:

"The most sensational battle Sydney has ever known was fought between 40 policemen and 18 Communists ... All the defenders were injured, some seriously. Bullets flew, one man was hit. Entrenched behind barbed wire and sandbags, the defenders rained stones weighing several pounds from the top floor of the building on to the heads of the attacking police, who were attempting to execute an eviction order.

A crowd hostile to the police, numbering many thousands... threatened to become out of hand ... When constables emerged from the back of the building with their faces covered in blood, the crowd hooted and shouted insulting remarks."


Wie friedlich das hier war und ist, sieht man eben u.a. auch an diesem Artikel - man muß seinen europäischen Zynismus schon sehr unter Kontrolle haben, um bei der Beschreibung eines Straßenkampfes zwischen 18 Arbeitern und 40 Polizisten als "the most sensational battle Sydney has ever known" nicht leicht überlegen und spöttisch zu grinsen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß die Erwiderung: "Was? Nur 60 Beteiligte? You call that a riot??" nicht gerne genommen wird hier. Verständlich, aber wenn man aus der eigenen Familiengeschichte vom Altonaer Blutsonntag und brutalsten Kneipenhauereien in der Schanze, Altona und auf dem Kiez zwischen der KPD und der SA zur selben Zeit weiß, muß man eben an sich halten.

Naja, heutzutage ist Newtown Touristen und Studenten Central, wo englische Rucksäcke sich den Rucksack vollsaufen und Tarquin und Edwina "Gender Studies" in der Mittelklasse studieren, auf alternativ machen und ihre Namen in Eddy und T-Man ändern. Redfern hingegen hatten wir ja schon mal - home of The Block, eines der wahrscheinlich (ohne Übertreibung) schlimmsten schwarzen Ghettos der westlichen Welt, vergleichbar wohl nur mit einigen in den USA (keine Ahnung, war nie in den Staaten). Gegen Redfern war Brixton ein Luftkurort. Das wär doch mal 'n Slogan für's touristengeile Sydney: Come to Redfern, where the black underclass shoots up and dies in the shadow of the Central Business District.

Aber was ich ja eigentlich erzählen wollte: wenn gerade mal keine Polizisten als Gegner da waren, hauten sich die Männer aus Redfern und Newtown auch gerne mal gegenseitig die Nacht um die Ohren. So zwei-bis dreimal im Jahr, bis in die 50er Jahre hinein, sammelten sich größere Gruppen auf beiden Seiten und veranstalteten so halb ernstgemeinte suburb vs. suburb Schlägereien; wie Klassenkloppe für Erwachsene. So hat der Australier Spaß und schlägt wenigstens zur Abwechslung mal nicht die eigene Frau (dazu später mehr diese Woche). Was das jetzt alles mit der Überschrift dieses postings zu tun hat?

Unser Kater Jonah und unseres Nachbarns Katze Bella können sich einfach nicht ab. Es wird sich quasi gebeult am laufenden Band, und wenn es mal nicht zu Kampfhandlungen kommt, tun sie entweder so, als ignorierten sie sich, oder fauchen, knurren und miauen sich an, daß es eine Art hat. Uns und Richard und Emma, unseren Nachbarn, ist das natürlich furchtbar peinlich, denn wenn man ein Haustier hat, unterliegt man ja irgendwann auch dem Wahn, das Verhalten des Tieres ließe irgendwelche Rückschlüsse auf einen selber zu, und man manövriert sich quasi in eine Position, von seinem Haustier in menschlicher Gesellschaft blamiert zu werden.

Andererseits haben wir aber auch schon beobachtet, daß zwar selten aber regelmäßig Bella und Jonah gemeinsame Sache machen, und zwar wenn es gegen den Hund auf der anderen Seite unseres Mietsblocks geht. Wenn der kläfft, rauschen Bella und Jonah an den Zaun und zischeln ihm in Stereo Bösartigkeiten in die Spanielschlappohren. Bemerkenswert, das.

Jedenfalls standen Richard und ich gestern im Garten, als Jonah und Bella wieder mal die Krallen sprechen ließen. Wir entschuldigten uns und versicherten uns wechselseitig peinlich berührt unserer gutnachbarschaftlichen Absichten. Dann überlegten wir, warum die Nachbarschaftsfehde der beiden immer noch anhält - generell gibt sich ja irgendwann einer geschlagen, räumt das Feld und schleicht nur noch nach draußen, wenn der/die WidersacherIn nicht zu sehen ist. Ich sag' so zu Richard: "Tja, tut mir leid, aber als wir noch in Newtown wohnten und Jojo gekriegt haben, hat er halt alle anderen Katzen in der Nachbarschaft verdroschen, der gibt glaub' ich erstmal nicht auf." "Naja," sagt Richard, "dann wird das noch dauern. Bella hat auch alles vermöbelt, was ihr in die Quere kam, bevor wir hierher gezogen sind."

"Wo habt ihr denn gewohnt vorher?", frag' ich. "Och, jahrelang in Redfern", sagt Richard.

Das Rad der Geburt und Wiedergeburt dreht sich buddhistisch murmelnd. Irgendwo in zwei Altersheimen in Sydney verstarben vor ca. 7 Jahren zwei alte Stahlarbeiter, einer aus Newtown und einer aus Redfern, und erleben jetzt ihre gute alte Jugendzeit wieder. Als Katzen.

Oder vielleicht ist da auch irgendwas im Trinkwasser. Ich kann Richard nämlich auch nicht ab.