29.6.04

Die Hölle sind die Anderen

Der Horror. Der Horror! Diese Schmerzen! Nach diesem Abend event dining im Mythos Restaurant in Leichhardt kann man erahnen, warum sich Menschen vor Züge werfen. Sartre, der alte Partylöwe und Menschenfreund, hat in seiner 1967 erschienenen Polemik Dummbeutelfreßtempel in Sydney - wie man dem besoffenen Proletariat das Geld aus der Tasche zieht das Problem ja schon angesprochen, und hätte ich's vorher gelesen, wäre ich gewappnet gewesen. Insbesondere, weil seine Restaurantkritik des Mythos lediglich aus dem inzwischen berühmten Satz "L'enfer, c'est les autres" (Die Hölle, das sind die Anderen, oder wie man hier schön griffig sagt: hell is other people) bestand.

Dabei sollte es ein eher ruhiger Abend unter Freunden werden. Freund Oscar hatte Geburtstag und lud ein zum Essengehen, und zwar ins besagte griechische Restaurant Mythos. Das kannte ich bisher nur vom Vorbeigehen und wollte immer mal hin (das einzige griechische Restaurant auf der ansonsten stark italienisch majorisierten Norton Street); wir würden wohl so um die 25 Leutchen werden, meinte O, darunter etliche Gestalten, die ich seit teilweise 3 Jahren nicht mehr gesehen hatte; außerdem war ich ewig nicht mehr griechisch essen... Also fuhr ich voller Vorfreude gen Leichhardt. Als Bonus obendrauf kam der Zufall, daß am Samstagmorgen Griechenland Frankreich besiegt hatte, und diverse griechisch/zypriotische Freunde ebenfalls ihr Erscheinen zwecks deliriösem Feiern des Erreichen des Halbfinales angekündigt hatten.

Es ließ sich zunächst auch gut an. Wir trafen uns im Pub um die Ecke zum gleichsamen Warmtrinken wie Zusammenkommen, ein großes Hallo allerorten, und ich lernte endlich Paul Okon kennen (FußballfreundInnen wissen, wer das ist). Nach reichlich einer Stunde brach der Geburtstagsgästemob dann auf zum Mythos...

... welches schon gut gefüllt war. Beim Hineinkommen fiel sowohl das erhöhte DJ-Pult, die mittige, mächtige Bar und die Eurotrash Tanzmucke ins Auge und Ohr - gut, mal was anderes dachte man da noch. Wir nahmen Platz an 2 langen Tischen und ich nahm zur Kenntnis, daß es kein Menu gab, sondern stattdessen eine voluminöse Getränkekarte. Gut, mal was anderes, dachte ich und bestellte mir erstmal einen Erdbeer Daquiri (Cocktails sind ja immer so sündhaft teuer, da muß man bei einem Preis von 10A$ einfach zugreifen). Dann bemerkte ich, daß alle anderen Tische ebenfalls große Gruppen beherbergten, daß selbige zum größten Teil aus 18-25jährigen Jungmenschen bestanden, davon einige offensichtlich auf Junggesellen und-innenabenden (Brautschleier bei den Damen und Sakkos lauter als die unaufhörlich anschwellende Hintergrundmusik bei den Herren), und so langsam schwante mir was, und zwar nichts Gutes.

Ich schaute mich um und erkannte erschaudernd, daß der Rest des Raumes bevölkert war von schlechtgekleideten Schlampen, angetan mit billigen und tiefausgeschnittenen Polyesterklamotten und weißen Fick-Mich-Schuhen, frisiert nach der letzten MTV Prollmode, etliche bereits nicht mehr ganz alleine und augenscheinlich auf der Suche nach einer schnellen und billigen Nummer. Die Frauen waren auch nicht viel besser. Wie Essengehen während der Jerry Springer Show, zog es mir siedendheiß durch den Kopf.

Nach einer knappen halben Stunde war's dann mit Ahnung vorbei und die Gewißheit kam in Gestalt einer quadratischen Nußknackervisage an. Die Musik wurde hochgedreht und ein, nun ja, in Ermangelung eines besseren Wortes, "Mann", bewaffnet mit Mikrofon, lustiger Schürze (Michelangelos nackter David) und geistfreier Gesinnung stürmte den Raum und kündigte an, daß "die Show" jetzt beginnen würde... und auf einmal wurde sowohl mir als auch ca. 10 anderen Leuten unserer Gruppe schlaganfallartig bewußt, daß wir jetzt wohl ganz viel Spasss haben müssen.

So kam zum Nachtmahl der Nachtmahr, ein alptraumhafter Animateur, der mit seinem halb blau, halb weiß geschminkten Gesicht aussah wie eine verunglückte Genmische aus Costa Cordalis und Chucky, die Mörderpuppe. Er lief an mir vorbei, immer fleißig vor sich hinbrabbelnd, und in seinen Augen flackerte deutlich sichtbar entweder fortgeschrittene Demenz oder Metamphetamin. Auf meiner Ecke des Tisches einigten wir uns schließlich auf Speed. Und wie man das aus dem Film mit dem gleichnamigen Titel schon kennt: das Mundwerk muß mindestens bei 50 Stundenkilometern gehalten werden, weil sonst der Bus, Quatsch, der Mensch explodiert. Und so sabbelte und grimassierte sich der im Übrigen stark bodyverbildete Muskelmensch durch den durchaus begeisterten Raum.

Das gesamte Konzept der "Erlebnisgastronomie" gehört ja eh als von der Genfer Konvention verbotenes Kriegsverbrechen angeklagt und weggesperrt bis zum Sankt Nimmerleinstag, aber daß es so grottig werden würde...

Ich mach das jetzt mal in Kurzform, denn der ganze Platzregen menschlicher Scheußlichkeiten ( so war jedenfalls Oscars Schwagers Urteil: "what a shower of shite" waren der Erinnerung nach seine Worte), der da über uns herniederging, würde den Rahmen sprengen. Muskelmann zieht eine gleichermaßen begeisterte wie schwer angetrunkene Junggesellin auf einen Stuhl und zieht bis zur Unterhose blank (natürlich nicht, ohne den debil kichernden Junggesellinenkopf mehrmals Richtung Gemächt zu drücken), Frauen kreischen; später tanzten irgendwelche Männer auf dem Tresen zu den Village People (inkl. Oscar, der zu diesem Zeitpunkt auch schon jenseits von gut und böse war...); dann war da noch das brasilianische Sambapaar, so inkongruent mit der doch eigentlich griechischen Lokalität wie das Publikum begeisternd (halbnackte Neger ziehen eben immer noch als Klasse Entertainment); an Fummelpartyspielchen an Nachbartischen kann ich mich auch noch schwach erinnern...

Zu diesem Zeitpunkt war unsere Gruppe längst in 2 Teile zerfallen: die Ausziehen!Ausziehen!-Trinken-Fraktion und diejenigen, die Freund Oscar gerne das Nasenbein gebrochen hätten ob seiner Hinterlist, uns nicht zu erzählen, daß wir ins australische Gegenstück zur Schinkenstraße gehen würden. Das Essen war eigentlich ganz OK, aber da während der floor show das Servieren leckerer griechischer Happen völlig unterblieb, darbten wir nicht nur an Geist, sondern eben auch Leib. Auf unserer Ecke des Tisches wurden Fluchtpläne geschmiedet wie weiland im Gulag und Con war schon kurz davor, einen Tunnel zu graben, wurde aber von Cathryn mit den weisen Worten "It's a hardwood floor, darling" zurückgehalten.

Jo, ihres Zeichens netter männlicher Aufmerksamkeit durchaus nicht abgeneigt, bot dem jetzt immer ungehemmter marodierenden Animateur eins oder zwei auf die Glocke an, als dieser zum wiederholten Male versuchte, sie zum Mitmachen zu zwingen: "If you touch me again, you die. Simple as that!" Oscars Schwägerin Kelly beklagte das völlige Fehlen Erlösung spendender amerikanischer Flächenbombardements ("And to think the Americans are wasting perfectly good bombs on poor innocent Iraqis!"), und Freund Niko schließlich gestand nach diversen Alkoholika, daß man sich diesen Abend nicht mal schöntrinken könne und antwortete auf die Frage, ob er nicht eigentlich fahren müsse: "Yep. Muß ich. Und wenn sie mich kontrollieren und ich den Lappen verlier - das war die Sache wert."

Spätestens jetzt war klar: von diesem Abend würde ich mich dann erstmal erholen müssen. Das werd' ich Oscar auf absehbare Zeit nicht verzeihen, einem eigentlich so nette Sachen wie Drogen, Alkohol und Oralsex dermaßen zu verleiden.

Als Muskelmann, im Furor von Speed und Anabolen (oder vielmehr Hyperbolen - alles war GREAT!! FANTASTIC!! SUPER!!) Stereoiden dann mehrere Frauen zum Tanzen auf dem Tresen zwecks Wahl irgendeiner Miß Wasauchimmer animierte, erreichte der Abend endlich seinen Höhe- und Tiefpunkt. Man wußte nicht, was trauriger war: die offensichtlich von Beyoncé et.al. und dann auch noch schlecht kopierten moves der Frauen auf dem Tresen, ihre verbissenen Versuche, möglichst sexy zu wirken, die Anfeuerungsrufe samengestauter Jungmänner oder die Schäbigkeit des Ganzen... Dank der Positionierung unseres Tisches und der deutlich höher gelegenen Bar wurde mir und uns jedenfalls eines noch klar, bevor wir gingen: der Trend bei Abendbekleidung für Frauen geht klar zu kurzem Rock ohne was drunter. Um im Jargon des Animateurs zu bleiben: guten Appetit!