3.5.04

Im ZerrSpiegelBILD

Das Festival of German Cinema Sydney 2004 hier ist nun auch vorbei, und man zählt die überlebenden Gehirnzellen. Nicht etwa, weil die Filme so schlecht waren (obwohl, einige...), sondern vielmehr, weil immer etwas Merkwürdiges passiert, wenn man die süßsaure Heimat im Exil um die Ohren gehauen kriegt.

Bei Filmen wie "Blueprint" z.B. mit Franka Potente ist man froh, nicht mehr dort leben zu müssen - bei soviel Pseudointellektualität war man eigentlich nur überrascht, daß die Protagonisten nicht andauernd vornüber kippten bei soviel spießiger Kopflastigkeit. Obwohl Frau Potente natürlich jeden Tag zum Kaffee bei mir vorbeikommen könnte.

"Schwabenkinder" mit einem grandios overacting Tobias Moretti hingegen war so zwischen unbeabsichtigt witzig und gut melodramatisch anzusiedeln. Ohne Blindenhund Rex an seiner Seite irrte Moretti in verschneiten Bergen umher, um Tiroler Kinder in die schwäbische Frohnarbeit zu führen. Interessant an diesem Film war, daß ich die englischen Untertitel ebenso zum Verstehen brauchte wie die liebende Partnerin - südlich von Köln war schon immer linguistisches Ausland für mich.

"Verschwende Deine Jugend" hätte auch besser "Verschwende 90 Minuten Deines Lebens" geheißen. Eine Handlung wie Malen nach Zahlen, zigtausendmal schon so oder ähnlich gesehen. Ganz nett geschauspielert war's aber schon; nur: warum kaprizieren sich Deutsche immer in dieser Roboter- und Menschmaschinenrolle, wenn sie mal Avantgarde spielen wollen? Wie ja eben auch die den Film (und glücklicherweise nur den) beherrschenden D.A.F.? Immer dieses martialische Herrenmenschengehabe, was noch viel fürchterlicher und unentspannter wird, wenn's ironisch-selbstreferentiell daherkommen soll (Hallo D.A.F., Rammstein, Kraftwerk etc.etc.etc.). Vor der Selbstironie kommt eben die Selbsterkenntnis, und da hapert's beim Michel augenscheinlich immer noch. Die das Kino gut vollmachenden australischen Hipsterkiddies waren von soviel authentischer German New Wave denn auch folgerichtig zu gleichen Teilen amüsiert, fasziniert und traumatisiert. Von daher ein sehr gelungener Film, denn dem nichtdeutschen Ausland weiterhin den Eindruck zu vermitteln, daß deutsche Kultur zwar intelligent sein kann, aber eben immer völlig humorlos ist und auf latenten Allmachtsphantasien fußt, kommt der Wirklichkeit schon ziemlich nahe.

Zum "Wunder von Bern" geh ich dann nochmal gesondert ein...

Letztlich der große Gewinner für mich war dann "Kleine Freiheit" von Yüksel Yavuz. Na gut, mit einem Film der ausschließlich auf St. Pauli und in Altona spielt, rennt man bei mir eh offene Heimwehtüren ein, obschon das auch ein Klassefilm wäre, spielte er in Berlin oder Köln oder Hannover oder sonstwo. Ursprünglich anscheinend ein ZDF - Kleines Fernsehspiel strahlte dieser bescheiden produzierte Streifen mehr Herz, Pathos und Echtheit aus als alle anderen gesehenen Filme zusammen. Und - was für ein Zufall - der einzige Film, der Immigranten, Flüchtlinge und andere Minderheiten in den Hauptrollen hatte; die einzigen Deutschen waren 2 Zivibullen und ein obdachloser Ex-Seebär (Thomas Ebermann mit einer beunruhigend überzeugenden Leistung).

Das ist es, wohin Deutschland sich bewegen wird, ob der deutsche Michel es nun will oder nicht: eine Einwanderungsgesellschaft ersten Ranges. Hamburg hat in diesem Zusammenhang, zusammen mit Berlin und vielleicht noch Köln, einen meilenweiten Vorsprung vor dem Rest der Republik, trotz dem nicht verstummen wollenden Überfremdungsgewimmer der Hamburger Kleinkrämerseele. Die Nation ist eine Erfindung, Nationalität ein beliebiges Konstrukt und Deutschland als solches (genau wie Australien) ein Mythos - wer diesen Allgemeinplatz nicht betreten will, wird an den nächsten Jahrzehnten der globalen Entwicklung wenig Freude haben.

Die liebende Partnerin stellte jedenfalls verblüfft fest, daß sie den teils recht harten türkisch-hamburgischen Akzent in "Kleine Freiheit" besser verstand als das Hochdeutsch einiger Figuren in "Das Wunder von Bern" und fragt sich itzo irritiert, ob sie im Moment eigentlich "Deutsch" lernt oder "Hamburgisch", und was das für ihr eigenes Nationenverständnis bedeutet (in ex-kolonialen Gesellschaften geht man halt von anderen Ansätzen aus). Kurz: Heimweh hoch Zehn, ausgelöst durch einen Film, der von A-Z geschaffen, umgesetzt und dargestellt wurde von Menschen, denen u.a. meine Eltern immer noch die Zugehörigkeit zu "ihrer" Gesellschaft absprechen wollen, ein Film, der sich mit Thematiken befaßt, welche mich gemäß offizieller Lesart gar nicht interessieren sollten. Wohingegen mich stockdeutsche Streifen wie die obengenannten emotional mehr oder weniger kalt lassen. Exilanten aller Länder, vereinigt Euch - passieren wird es sowieso.

Schon komisch - ein Film, der gleichzeitig meine Vergangenheit und Gegenwart indirekt beschreibt. Bei einer Szene ging fast gar nichts mehr im Kleinhirn: zwei nichtdeutsche Immigranten in Hamburg fabulieren darüber, wie das Leben in Australien denn wohl so wäre, während ein nichtaustralischer Immigrant aus Hamburg sich diese Szene im Kino in Sydney anschaut und darüber nachdenkt, wie das Leben in Hamburg denn wohl so wäre. Da brauchte ich hinterher einige Getränke, um das in die korrekten Mentalschubladen packen zu können.