12.4.04

Disco Sucks Fuck Everything, oder: Ein Abend in der Herrensauna - SICK OF IT ALL, 08/04/2004, THE GAELIC CLUB

Ich weiß auch nicht - irgendwas am Publikum eines Hardcore Gigs bringt mich zum Lachen. Am nächsten Morgen fragte die liebende Partnerin, wie's war und bemerkte mein immer noch wie eingemeißeltes Grinsen; und mir fiel keine bessere Erklärung ein als "hardcore people just crack me up". Aber dazu später.

Erstmal war Training angesagt und oben auf dem Bergrücken Earlwoods war's schon gefährlich kalt - der Winter kommt. Dann ins Auto geschmissen und runtergebrettert nach Surry Hills, Sick Of It All's "Scratch the surface" Brett in der Anlage. Was übrigens auch die "neueste" SOIA Scheibe ist, welche ich besitze - an der Tatsache, daß selbige von 1994 ist kann man schon sehen, daß ich eher Softcore sein würde im Gaelic Club. Aber echt jetzt: seit SOIA zu Fat Wreck Chords gewechselt sind und heutzutage eher Punk machen, hab' ich auch irgendwie das Interesse verloren. Außerdem gibt es nicht allzuviele Bands an denen ich guten Gewissens rumnörgeln kann, daß die alten Sachen echt voll besser sind, ey, nich' so wie dieser neue Kram den die jetzt machen, Alter, der rockt nich'. Trotzdem Pflichtbesuch, schließlich kriegt man selbst ehemalige Heroenbands hier nicht gerade um die Ohren gehauen, livemäßig jetzt.

Es war SOIA's erste Australientour seit 7 Jahren und dementsprechend groß auch der Publikumsandrang. Obwohl, ausverkauft war's nicht, im Gegensatz zum mir in lebendiger Erinnerung gebliebenen Fabrikauftritt im Juli '95 in HH. Großes Mitsingen damals (das Hardcore Ritual schlechthin), 2 Tage später noch heiser und eine mittelschwere Kieferprellung im Massenmoshpit davongetragen, und diese Art Erinnerung galt es, aufzufrischen.

Ich kriegte gerade noch 15 Minuten der Vorband SHOT POINT BLANK aus South Australia mit - immer wieder interessant zu sehen, was die jugendliche weiße Mittelklasse momentan enragiert. Aber im Ernst (bzw. natürlich, wir sind schließlich beim Hardcore, im Todernst): die waren echt nicht schlecht. Man könnte glatt mal wieder zu einem Hardcore Gig gehen, dachte man sich, als der trotz Armeehose und Hardcore-Attitüde augenzwinkernde Bonhomie ausstrahlende Sänger sich mit einem gutgelaunten "youse guys keep it real!" verabschiedete.

Dann endlich SOIA. Die Herren Lou und Pete Koller, Craig "Ahead" Setari und Armand Majidi sind ja auch schon um die 40 heutzutage, und das alleine wär' schon genug, um der durchschnittlichen Harcore-Kapelle von umme Ecke das Glaubwürdigkeitsgenick zu brechen. So mit 40 hat man eher living room cred anstatt street cred. SOIA haben es jedoch schlauestens vermieden, zu sehr den Allgemeinplatzwart in ihren Texten zu bemühen, sondern sind vielmehr eine der dezidiert politischsten Gruppen, die die New York Hardcore (oder NYHC!, wie viele T-Shirts des Abends schmissig proklamierten) Szene Ende der 80er hervorbrachte. Und angepisst von den Verhältnissen kann man eben auch noch mit 40 glaubwürdig sein.

SOIA spielten ca. 75 Minuten, inkl. Zugabe, und in diesen 75 Minuten ca. 30 Songs. So soll Hardcore sein, die Boulevardschlagzeile unter den Musikstilen: immer auf den Punkt, bzw. im heftigst körperverletzenden Mosh immer auf die Zwölf. Alte Hits massenhaft, und auch unter den Neueren gab's den einen oder anderen Kracher, wie das in der Überschrift schon erwähnte "Disco Sucks Fuck Everything". Genau! Und es war eben wie ein Abend in der Herrensauna. Sich für hart haltende oder tatsächlich hart seiende Männer, einige davon sicherlich mit den in dieser Szene nicht gerade seltenen frauen- und schwulenfeindlichen Ansichten rieben sich mit nackten, schweißnassen Oberkörpern im überhitzten Gaelic Club aneinander oder hauten sich halb gespielt, halb ernsthaft aufs Maul. Da konnte man schon nicht mehr von latent sprechen... War schon lustig.

Freund F. hätte jetzt bestimmt wieder eingewandt, was man nur an so 'nem Krach finden könne, da könne man sich auch gleich kläffende Hunde anhören. Und ganz unrecht hat er damit nicht - gerade live kann sich das schon wie "Röff Röff! Röff! Röffröffröff Röff! RRRRÖFF!" anhören; auch in dieser Hinsicht ist Hardcore der Rottweiler des Punk.

Davon abgesehen gab's dann aber noch die komischste Szene, die ich seit langer langer Zeit bei einem Konzert gesehen habe. Das kommt geschrieben jetzt bestimmt nicht so rüber und gehört wohl eher in die Kategorie "Man müßte eben dabei gewesen sein", aber ich versuch's trotzdem:

Lou, immer noch einer der besten Frontmänner des Genres und ein Conferencier und Schalk erster Güte, trat an den Bühnenrand und während den ersten 7 Reihen noch das eben beendete "World Full Of Hate" im Schädel umherprallte (und ich mir diverse meiner Knochen vom Boden aufsammelte) griente er sich einen und ansagte dies:

"Ok, was jetzt kommt ist eher für unsere Belustigung und Abwechslung. Naja, und für die da oben [auf das Balustraden-und Balkonpublikum zeigend]. Wir würden jetzt gerne BRAVEHEART spielen mit euch. Und das geht so. Ihr bildet da jetzt 'n Korridor in der Mitte und drückt euch da rechts an die Wand und da links gegen die Bar. Und wenn wir dann anfangen, den nächsten Song zu spielen, versucht IHR von der Wand an die Bar zu kommen, und IHR von der Bar an die Wand. Es gibt nur eine Regel: wer fällt, wird aufgehoben!"

Und es teilte sich die Menge vor Moses, äh, Lou, und es sah wie folgt aus:

xxxxxxx___________oooooooo
xxxxxxx___________oooooooo
xxxxxxx___________ooooooooo, und so weiter.

Tatsächlich bildete sich eine ca. 5 Meter breite, freie Fläche in der Mitte des Clubs. Die ersten gaaanz Witzigen in den jeweils ersten Reihen scharrten schon mit den Turnschuhen, alldieweil die Bedienungen hinter der Bar sich mit Tauen an die Takelage ketteten, Quatsch, hektisch Gläser vom Tresen sammelten. Ein Paar Gleichgesinnte und ich verschanzten uns hinter dem Mischpult und hatten somit exzellente Aussichtsplätze.

Lou: "Ok? Alle fertig? Na dann.... SCRATCH THE SURFACE! / SERVE A PURPOSE! / SCRATCH THE SURFACE! / DON'T WASTE MY TIME!" Nach ca. 4 Sekunden sah der Saal dann wie folgt aus:

xoooxxxooxoxoxoxoxoxoxooxoxoxoxooxoxoxoxoxoxoo
xxoxooxooxooxxxxxoxoxoxxxoxxoxoxooxxxoxoxoxoox
xxoxooooxoxoxxxxoxoxoxoxoxoxxxooxoxoxoxooxoxoxoxox

Ich hab' wirklich selten in letzter Zeit so gelacht wie dann. Mehrere humanoide Wellen brandeten gegeneinander, brachen sich und fluteten zurück, nur um von der nächsten Welle wieder davongetragen zu werden. Kurz: der choreografierteste Massenpogo seit Nirvana's "Smells like teen spirit" Video. Dadrüber und -drunter die Tätowiernadel der SOIA Rhythmusmaschine und Lous in Versform gezwungener Haß aufs System. Da wurde Pogo, slammen, moshen für ca. 10 Sekunden fast wieder subversiv, aber aufgrund der spielerischen Natur des Ganzen eben auch selbstironisch witzig. Und so soll der Kampf doch sein: hart aber fair, mit einem sich selbst nicht allzu ernst nehmenden Lächeln auf den Lippen.

Fazit: kann man immer noch gelten lassen, die alten Herren des Hardcore. Da hab' ich schon Jüngere und Schlechtere gesehen.