3.1.04

Autofahren mit M.

Warum eigentlich klingen so viele meiner alten Lieblings-CDs und LPs und Kassetten so merkwürdig, wenn ich sie hier in Australien höre? Wieso fangen frühere Dauerdreher auf meinem Plattenspieler (jaja, Vinylnostalgie) hier leise und leicht vorwurfsvoll Staub, wo ich doch früher gerne mal halb Barmbek-Nord mit SODOM, KREATOR oder SLIME unterhielt, nachts um 1? Aus welchen Gründen hab' ich so gut wie nie Punk oder Metal oder anderen Krach laufen hier, dessen Provenienz nicht nur bei Würsten gut mit "aus deutschen Landen" beschrieben ist? Wieso gilt das nur bei Bands aus D'land, während nicht-deutsche Kapellen dieser sonderbaren Selbstregulierung nicht zu unterliegen scheinen? (Meine Nachbarn hier kennen jetzt auch NAPALM DEATH und die DEAD KENNEDYS. Das war 'ne echte Bildungslücke bei denen; ich ernte im Treppenhaus immer dankbare Blicke. Glaub' ich jedenfalls.) Und warum sind viele dieser deutschen Krachbands ersetzt worden durch deutschen (na gut, geben wir's zu: meistenteils Hamburger), eher feingeistigen Gitarrenpop wie KETTCAR, STERNE, BLUMFELD oder DIE ÄRZTE?? (Für letztere gilt allerdings eher weingeistig.) Muß ich auf meine mittelalten Tage etwa noch die Hamburger Schule besuchen? Liegt das vielleicht am, oh Gott, Älterwerden??

So frug ich mich oft letzten Jahres, während ich abends nach meinen Kuckidenttabletten suchte. Zu merkwürdig schien mir dieser seltsame Sinneswandel; besonders weil ich mir sagte: "Das Alter, Alter, kann's ja wohl nicht sein - schließlich schlepp' ich meine Gehhilfe ja auch gerne zu Konzerten hier, auf denen bevorzugt, wie meine Oma immer sagt, 'Djiddelmusik' gespielt wird."

Aber dann fährt man Auto mit seinem Bruder M., und alles wird klar. Wir trafen uns letzte Woche im Schweinske's in Lohbrügge, mit den Freunden F., F. und B., diverse durstlöschende Biere wurden geordert und geleert, und die Welt wurde, wie es sich gehört, von allen Seiten beleuchtet und handlich verpackt und eingetütet. Nach vollzogener Analyse von Kindheitsfreundschaften, der Einkaufspolitik St. Paulis und "Kill Bill - Superfilm oder Seifenoper?", schulterte mich schließlich mein Bruder und wir fuhren zwecks Übernachtung zu ihm. Als Beschallung im Auto (aus einer Anlage, die einen Herzschrittmacher locker zum Stillstand bringen könnte) gab's, wie eigentlich immer bei M., genau jene Art Musik, die bei mir jüngst so unerklärlich in Ungnade gefallen war.

Und als wir da so rumkutschierten, durch die Löcher im Speckgürtel Hamburgs zwischen Lohbrügge und Rahlstedt-Ost und vorbei an den Lebebatterien der östlichen Vorstädte, wurde es einem klar: genau so, und nicht anders, soll man diese Musik hören. Rauchend, Astra aus der Dose trinkend (als Beifahrer darf man das), und mit 100 durch eine graue, verbrauchte, sprittige, deutsche Landschaft bretternd. Man schaute aus dem Autofenster und es schauderte einem beim Gedanken an das Deutschland, was einen umgab. Als Gegengift muß dann tatsächlich ein immer neu vertontes NEIN her, was sich in seiner Brutalität von den draußen vorbeihetzenden Verhältnissen lediglich dadurch unterscheidet, daß es eben meine Brutalität ist - der musikalische große Bruder den man holen kann, wenn einem Deutschland wieder mal den Fußball geklaut hat beim Kicken hinterm Haus. Bildlich gesprochen jetzt.

Man weiß ja: Minus (Deutschland) mal Minus (entsetzlich rohe Musik von Menschen aus Castrop-Rauxel oder Bitterfeld) gibt Plus (subjektives Wohlbefinden und es-aushalten-können). Nach der Formel ließ es sich für mich einige Jahre leben im Vaterländischen. Dummerweise gibt Plus mal Minus eben Minus, will sagen: da es eben unheimlich schwer ist, sich bei 28 Grad eiskremessend am Strand über "die Gesellschaft, bzw. die gesellschaftlichen Probleme" (W. Droste) aufzuregen, haben die musikalischen deutschen Totschlagsargumente in meinem Plattenregal ihre Berechtigung verloren, da es hier nichts (bzw. völlig anderes) totzuschlagen gilt. Eh du, da komm' ich nur schlecht von drauf, weißte?

Soviel Gehalt braucht man hier eben nicht, da verdirbt man sich nur den Magen von - man würde ja auch keine rheinische Schlachtplatte in der Sahara essen wollen. Oder eben nur häppchenweise; vielleicht sollte ich einfach meine Hörgewohnheiten ändern und nur noch einzelne Songs aus deutschen Landen genießen, anstatt ganze Platten durchzuhören.

Andererseits gilt das natürlich auch umgekehrt: wenn sich der/die TeutonIn zu sonnenverwöhnten Calypso- oder Reggaerhythmen mal so richtig ungehemmt locker machen will, schaut man auch besser weg. Ich sage nur: die GOOMBAY DANCE BAND live in irgendso'ner Viehauktionshalle in Neumünster, auf einer Veranstaltung der Hamburg-Welle, um 20.15 auf N3 letzten Samstag (was man nicht alles wegguckt beim Elternbesuch...). Das wäre dann wie zu versuchen, von einem makrobiotischen Salat in der Antarktis satt zu werden. Bildlich gesehen jetzt.

Ich weiß, keine bahnbrechende Erkenntnis, aber ich bin ja ab und zu etwas schwer von Kapee. Und darum brauchte es eine Autofahrt mit M., um mir zu erklären, warum diverse Platten bei mir in Sydney Staub fangen.

P.S.: Was mich natürlich nicht daran hinderte, mir von M. zwei CDs brennen zu lassen, wo Bands namens WÄRTERS SCHLECHTE, UNTERGANGSKOMMANDO, POPPERKLOPPER, KELLERGEISTER oder auch einfach BUMS drauf sind. Ey, das hat bei meinem Bruder im Auto voll gerockt, Alter!! Hoffentlich verderb' ich mir hier nicht den Magen dran...