21.10.03

Kampf der Kulturen - TURBONEGRO und HARD-ONS, 17/10/2003, THE GAELIC CLUB

Wie jetzt, schon wieder Freitag, schon wieder Gaelic Club, schon wieder Jay Katz als DJ/MC (siehe Bericht hier drunter)? Und dann noch Turbonegro, wo ich doch keinesfalls der Welt größter Turbonegro Fan bin? Tja, so kann's gehen. Da man ja aus nahe- bzw. eben fernliegenden Gründen nicht zum St.Pauli-Benefiz konnte, und darauf beschränkt war, sich sehnsüchtig Photos im Internet anzuschauen, kaufte man sich halt 'ne Karte für den Turbonegro Pub Gig und dachte sich, daß dies die Lücke schon schließen werde. Außerdem waren die Hard-Ons Vorband, und als Paket kann man das doch gelten lassen.

Außerdem II: die Familienbande war heuschreckengleich zu Besuch eingefallen, Schwiegervater, -mutter und Schwägerin, und so lieb mir die Anverwandten der liebenden Partnerin auch sind: so groß ist der grüne Zweig nun mal nicht, als daß wir da alle drauf könnten. Verglichen mit dem Tsunami familiärer Vergangenheitsbewältigung, der immer dann ausbricht wenn mehr als 2 Mitglieder der Familie der liebenden Partnerin aufeinandertreffen, versprach ein Abend mit Turbonegro geradezu harmonische Friedlichkeit.

So verabschiedete ich mich also, detaillierten Antworten auf diverse Fragen routiniert ausweichend (wie soll man einem pensionierten neuseeländischen Architekt/Lehrerin Paar in ihren Sechzigern auch die Band - "Wie heißen die? Turbonegro? Und die Vorband heißt, äh, räusper, Hard-Ons??" - beschreiben? "Och, naja, so die normalen, von einem ex-schwer heroinsüchtigen Gesichtsbemalten angeführten, kryptoschwulen Krachpunkmatrosen mit ironischer Nazisymbolik und Arschraketen halt. Just your average European entertainment." Eher nicht.), und fuhr fohgemut gen Gaelic Club...

... in dem Jay Katz auch schon Platten drehte, verglichen mit letzter Woche allerdings in eher kleinem Rahmen. Ich hatte natürlich, ganz im Geiste von Flagge zeigen und Hamburg City Represent und so'm Zeugs, einen St. Pauli-Kapuzi an, was auch bald (durch mir entgegen- bzw. nachgeworfene Kommentare) zu folgender interessanter Einsicht führte: nämlich, daß das noch spärlich vorhandene Publikum relativ konsequent 33-33-34 aufgespalten war in europäische Exilanten, die erstens wußten, was sie erwartet (ein norwegischer Gesprächspartner hatte Turbonegro nach eigenem Bekunden schon so um die 20 Mal gesehen) und zweitens wußten, was St. Pauli ist und was es mit der Verbindung Turbonegro-St.Pauli auf sich hat (sozusagen mein Marktsegment, zumindest so halb) - nennen wir diese Gruppe mal Turbojugend Oslo / St. Pauli; in europäische Exilanten die jetzt nicht sooo die hardcore Turbojugend sind, aber aus was auch immer für nostalgischen Gründen die 45 A$ hinlatzten (mein anderes halbes Marktsegment) - die nennen wir mal Nachwuchsjugend Europa; und die australischen Hipster, die endlich Turbonegro auf ihrer ersten australischen Tour live sehen wollten - da lief echt einer 'rum mit handgemachter Turbojugend Warrnambool Denimjacke. Warrnambool - das wär so ungefähr wie Turbojugend Stade... Auf diese drei Gruppen komm' ich dann noch zurück...

Zuerst aber Punchbowl's Finest, die Hard-Ons. Aah, Hard-Ons, langweilig aber lecker wie Currywurst mit Pommes; oder auch wie die Simpsons: inzwischen schon eine Million mal gesehen, als Hard-Ons oder Nunchukka Superfly oder Toulouse (na gut, wollen wir nicht übertreiben: 997.000 mal), und immer wieder gut. So auch diesmal: immer geradeaus durch die Wand. Punk Rock wie Fummeln im Fahrradkeller nach der Schulfete, und dann wieder wie 'ne Kneipenschlägerei. Drei, wie's hier heißt, "Immos" ballern auf dem Hochgeschwindigkeitsskateboard durch "Suck'n'Swallow", "Crazy Crazy Eyes", "She's a Dish", "Girl In The Sweater", "Stairway To Punchbowl", "Yuppies Suck" undundund. Hit auf Hit, großer Immigrantenpunk der Marke Sydney.

Anmerkung am Rande: nach dem Gig zwängte Ray von den Hard-Ons sich den Weg durch den nun rammelvollen (harhar) Gaelic Club und ein Umherstehender streifte ihn versehentlich am Arm mit einer glimmenden Fluppe. "Oh, shit man, sorry mate!" [Ray nimmt ihm wortlos, aber grinsend, die Zigarette aus der Hand, drückt sie auf seiner Zunge aus und reicht den Stummel zurück] "You're right mate, here you go." Punk Rock, Macker.

Mit Hard-Ons und Turbonegro auf dem Programm war einem ja schon klar, daß es heute abend nicht, wie letzten Freitag, eher kopflastigen, abseitigen, feinstofflichen Intelligenziakram geben würde, sondern viel eher dicke Bretter für's Untenrum genagelt werden würden. Hoden Rock'n'Roll eben, oder auch Eierstock Rock, je nachdem.

Turbonegro - große Kunst! Obwohl ja, wie erwähnt, eher nicht so deeeer Fan, konnte ich mich des dargebotenen Schabrackencharms doch nicht erwehren. Obwohl einem zuerst ja die Luft wegblieb, und zwar als Hank auf die Bühne stürmte. Seine Entscheidung, sich statt Heroin jetzt pure Kakaobutter intravenös zu injizieren, hatte sichtbare Folgen - ich hab' Turbonegro das erste und bis heute abend einzige Mal irgendwann '96 oder '97 live gesehen, und der Unterschied war voll fett. Auch einigen Mitgliedern der Turbojugend Warrnambool blieb hörbar das Begrüßungsjubeln auf den bierverklebten Lippen hängen. Sydney toleriert viel, aber fette Rockstars gehören bei dem hier allgegenwärtigen Körperkult nicht dazu. Aber nachdem sich die armen Häschen an den Anblick einer singenden, geschminkten Qualle gewöhnt hatten (so nach ca. 20 Sekunden), ging der Laden in die Luft.

Wie gut sind Turbonegro bitte live?? Rotzig wie 'ne Nasennebenhöhlenentzündung, mehr Druck als 'ne Stahlpresse und eine unwahrscheinliche Bühnenpräsenz; man weiß gar nicht, wo man zuerst hingucken soll. Hank ist DER perfekte Frontman, Euroboy hat aber auch wirklich jede Geste von Mick Jagger geklaut und sieht nich' mal Scheiße aus dabei, Happy Tom ist der Sailorboy schlechthin und Rune Rebellion sah aus wie igendein hochgradig verwirrter Tabakfarmer aus Virginia. Pål Pot lebte seine, laut Hank, "anger management problems" aus, indem er sein Mikrophon mehrfach in die natürlich begeisterte Menge feuerte, während Chris Summers seine Dosis COOL direktemang aus 1982 importierte (was für 'ne Sonnenbrille...)

Auch ansonsten alles Klasse - die Songs der neuen Scandinavian Leather wie Wipe it til it bleeds, Turbonegro must be destroyed, Sell your body to the night (fantastischer glam rock stomper!) oder Fuck the world rockten richtig, und die alten Klassiker (die sogar ich kannte) trieben einem die Tränen der Rührung in die Augen. Denim Denom, Rendezvous with anus, Sailorman, Rock against ass, Turbonegro hate the kids, Are you ready for some darkness..... Die Liste ist lang. Musikalisch, optisch (inklusive der um 90 Grad nach links zum satanischen Kreuz gedrehten norwegischen Flagge im Hintergrund) und athmosphärisch also alles in Kakaobutter.

Wenn da nicht die seltsamen Gruppendynamiken zwischen den Turbojugenden gewesen wären.... Hank's sarkastisch-ironische Ansagen und Bühnenkommentare wurden zuerst durchweg positiv aufgenommen und man hatte das Gefühl, daß selbst die Turbojugend Warrnambool ihren Humor mitgebracht hatte (was hier gar nicht mal so selbstverständlich ist, wie das nach außen immer den Anschein hat...). Dann jedoch wurde es brenzlig: Hank machte zum wiederholten Mal Anspielungen auf das fehlende Mitsingen im Saal (obwohl die Stimmung Klasse war, nur Mitsingen war nich' so...) und erklärte es mit der fehlenden Fußballkultur Australiens. "That's because you guys don't have football, or terraces, just your little faggoty Cricket and stupid Rugby!" Turbojugenden Oslo/St. Pauli und Europa lachten sich tot und diverse "That's right!", "YEAH!!" und "Fuck Cricket!" wurde gerufen.

Und da hört's mit dem Spaß ja auf. Der latent immer vorhandene australische Minderwertigkeitskomplex gegenüber allem Europäischen (was u.a. auch ein Grund für das gegenwärtige Daseins Australiens als Ass Rocket der USA ist) bricht bei leisester Berührung aus wie Pocken, und man kassierte einige böse Blicke und Rempler. Turbojugend Oslo/St Pauli begann daraufhin, einige Fußballchants anzustimmen (ich hielt mich zu dem Zeitpunkt noch raus), was wiederum die Nachwuchsjugend Europa nicht ganz verstand und bebuhte.

Naja, alles beruhigte sich wieder, ein geiles Konzert ging seinem Ende zu, letzter Song, Band geht von der Bühne, Licht ging an... und I got Erection war nicht gespielt worden! Turbojugend Warrnambool und Teile der Nachwuchsjugend gingen gen Ausgang, während Oslo/St. Pauli in altehrwürdiger Manier OOH HOO OHH - I GOT ERECTION!! gröhlten, minutenlang, der Laden war inzwischen halbleer, Licht geht wieder aus, Band kommt auf die Bühne, ich mach mich vollends zum Affen, zieh meinen Kapuzi aus (1-2-3, Oberkörper... aber lassen wir das lieber...), 'n paar Bierchen machen das mit einem, ich halt den Fetzen hoch, ST. PAULI! ST. PAULI! ST. PAULI!, einige andere machen mit, ziehen ihre Shirts aus, Viking Stavanger, Turbojugend Oslo, Turbojugend St. Pauli, AC Milan (???), Turbonegro Shirts, wie eine überdimensionierte dementierte Schalparade, und immer noch ST.PAULI! ST.PAULI!, Happy Tom grinst sich einen und gibt uns den Daumen Hoch..... als die vor dem Club auf Taxen oder Mami Wartenden rafften, was ging. Alles drängelte wieder rein; während Happy Tom cool mit einem Daumen die Bassmelodie von I got Erection griff, stellte Hank die Band vor, und die jetzt natürlich in der ca. 8. Reihe steckengebliebenen Spätheimkehrer begannen zu pöbeln: "Take your fucking shirts down!! Fuckin' take 'em down, we can't see!! Fucking wankers!!"

Über den genauen Verlauf von I Got Erection vor der Bühne decken wir dann mal das Lederkäppi des Schweigens. Da wurde einiges an Darkness gegeben und empfangen... Turbonegro fand' das wohl ganz klasse - endlich Punk Rock Stimmung. Alles in allem bleiben einem zwei Erkenntnisse:

1. Ich hab' Turbonegro wohl unterschätzt und werd' jetzt mal record shoppen gehen müssen.

2. Anglo-Australier, deutsche Werber und französische Studentinnen sollten nicht auf Turbonegrokonzerte gehen.