30.9.03

Deutsche sehen Dich an

Ich hab' nichts gegen Deutsche. Einige meiner besten Freunde sind Deutsche. Nur weiß ich seit Kindesbeinen, daß organisierte deutsche "Fröhlichkeit" (oder gar, igitt, "Lustigkeit") mir schneller den Hautausschlag ins Anglitz zaubert als bulgarische Kernseife, und immerhin war ich auch mit Absicht noch nie weder beim Oktoberfest in München, noch beim Karneval in Köln oder Mainz oder Düsseldorf oder sonstwo. Ein Schützenfest im Heimatdorf meiner Omma im westfälischen Todtenhausen (der Name ist durchaus Programm) hat mir gelangt. Ich geb' es ja zu: ab und an lebe ich in den Misanthropen.

Aber wie das so ist im Exil - wenn man Deutschland nicht jeden Tag um die Ohren hat, denkt man: es wird schon nicht so schlimm werden, also warum nicht. Oktoberfest!!! Im deutschen Concordia Club in Tempe!!!! Was hat einen nur geritten, da hinzugehen... AAARRRGGGGGGHHHH!

Aber fangen wir doch vorne an: letzte Woche ruft Kollege O. an und grazert mir elegant ins Ohr, daß sowohl er (Österreich-Australier), als auch seine werte irisch-australische Gattin K., sowie so um die 5-10 andere Kapeiken unseres stark griechisch und italienisch majorisierten Fußballerumfelds zum Oktoberfest im Concordia Club gehen werden. Man sagt zu, sich auf einen interessanten Abend mit Freunden freuend. Wir trafen uns letzten Samstag um Fünf am Bahnhof Tempe und marschierten frohgemut gen Polen, quatsch, Concordia Club. Und es kam, wie es eigentlich auch kommen mußte...

Für drei Dollar Eintritt erwarben wir Eintritt in die heiligen Hallen. Wir kamen 'rein und senkten das Durchschnittsalter im Saal schnurstracks auf ca. 77 Lenze - die meisten Anwesenden befanden sich also durchaus schon in dem Lebensabschnitt, der so oft unschön als "scheintot" bezeichnet wird. Billig ist die Rentneranmache und ageism ist mein Fall nie gewesen, nur dummerweise spielte Alter an der sich annahenden Katastrophe, bzw. eben auch am Triumph des Abends, eine nicht unbedeutende Rolle; denn nur den Deutschen ist es ja gegeben, dem Wort "alte" sofort das Wort "Nazis" folgen zu lassen. Doch dazu später.

Es ließ sich zunächst nicht schlecht an. Wir saßen draußen, tranken Dortmunder Arbeiter Bier (wie der aus Dortmund stammende Freund H. nicht müde wird, DAB zu nennen) vom Faß und Schöffenhofer Weizen und schnackten schön ein' aus - Beruf, Beziehungen, Ballsport. Freund C., Eigentümer sowohl eines trockenen Humors als auch zypriotischen roots, racontierte, daß es eine Freude hatte; A. kam gerade vom Verwandtenbesuch in Griechenland wieder und sponn fluffige Geschichten voller Olivenberge und Weinreben; J. hatte sich mal wieder in eine äusserst ungeeignete Dame verschaut... So badeten wir in der untergehenden Frühlingssonne, die sacht über dem Industriegebiet versank, und es war gut. Selbst die kurz nach unserem Eintreffen einsetzende bayerische Bumsmusik vom Band war dezent auf Zimmerlautstärke gedreht und verursachte nur beginnende Gürtelrose.

Die erste einschneidende Wendung nahm der Abend wohl mit den zwei ältlichen Männern, welche sich an der Bar fröhlich und bar jeder Ironie mit "Heil Hitler!" begrüßten. Mir fiel beinahe das grade erworbene Bier aus der Hand. Ich wollt' schon was sagen, als zwei sich ebenfalls schon stark im fortgeschrittenen Alter befindliche Herren versuchten, sich gegenseitig die Masken blau zu hauen - wohl, um sie ihren respektiven Zuständen anzupassen. Aufgrund starker Trunkenheit verfehlten sich die Kombattanten zwar um, ooh, 10 Meter, jedoch ging es nicht ohne Verluste ab: Rentnerhool #1 taumelte, durch den Schwung seines knochigen Armes wie ferngesteuert, geradewegs in einen Tisch des jetzt stark frequentierten Bierzeltes. Gläser splitterten, Frauen schrien und die hier obligatorischen bulligen libanesischen Türsteher zogen Rentnerhool #1 flugs aus dem Verkehr.

Gut, an dieser Stelle hätten wir mit 10 Mann vielleicht nicht Fußballkultur zum Besten geben sollen - unsere HOOLIGANS! HOOOLIGANS! HOOLIGANS! Rufe trafen jedenfalls nicht auf ungeteilte Zustimmung. Und dann war man tatsächlich wieder mal im Klischee - wie von Ralf König so schön in einem seiner Comics geschildert: "Ich will dich meinen Eltern vorstellen! Die sollen endlich schnallen, daß ich schwul bin! Also: du heißt Detlev und bist Frisör... Ne, Moment, das is'n Klischee, das kann ich meinem Vater nicht zumuten." Nun ja, einer der alten Nazis vom Tresen kam rübergewankt und reagierte auf unseren eigentlich doch recht humorvollen Schlägereischlager doch tatsächlich wie folgt: "Ihr gehört alle ins Arbeitslager!". Nachdem Freund H. und ich das dann den nicht-deutschsprachigen Mitgliedern unserer Gruppe übersetzten, bot A. dem Heilsbringer umgehend einen an den Latz an, was wir aber gerade noch verhindern konnten, und was den Türstehern glücklicherweise auch entging.

Es war gerade mal 19.00.

Dermaßen angegangen, beschlossen O. und ich fatalerweise, doch noch ein paar Obstler zu bestellen. Schnell griff der australische Ritus des Rundenschmeißens, und da wir inzwischen ja auf ca. 10 Leute angewachsen waren, hatte man auch bald mehr Obstler intus, als strikt empfehlenswert gewesen wäre. Inzwischen hatte sich das Bierzeltpublikum etwas vermittelaltert (verjüngt wäre falsch), und diverse deutsche Austauschstudentinnen, Versicherungsangestellte und Au-Pairs um uns rum stellten sich laut vernehmlich gegenseitig mit "Hallo, isch bin die Biggi" o.ä. vor. Wer wissen will, was das für Leute sind, darf gerne hier mal bei Young German Speakers in Sydney (YOGIS) schauen - aber sagt nicht, ich hätte nicht gewarnt - wie es auf deren Seite so schön geschichtsklittert: "Wie jung muß man/frau sein, um teilnehmen zu können? - So jung, daß man nicht ständig über die Vergangenheit sprechen muß." Wie war das doch gleich: Don't mention the war! I mentioned it once but I think I got away with it! (John Cleese)

Und dann wurde zum Totentanz aufgespielt, daß es eine Art hatte. 3 lederbehooste Haiopeis, augen- und vor allem ohrenscheinlich irgendwelchen süddeutschen Kuhkäffern entsprungen, betraten die Bühne und huben an, Gitarre und Akkordeon zu würgen und ein unschuldiges Schlagzeug im Dreivierteltakt zu verdreschen. Man fühlte sich zurückversetzt in seine Jugend und erinnerte sich wieder mal des alten Graffiti an der Wand des Jugendzentrums Korachstraße: Volksmusik ist Folter. Und (natürlich) kamen alle Kracher: Herzilein, Schneewalzer, Das Kufsteinlied... Nun wurden keine Schweinshaxen mehr beidhändig in ausschließlich dafür vorhandene Köpfe geschaufelt, jetzt wurden Schweinshaxen geschwungen wie Streitäxte. Hardcore Schwofing eben.

Normalerweise hätte man sich ja jetzt verabschiedet und das Elend Elend sein lassen. Im Furor der inzwischen in sich hineingekippten Alkoholika cruisten O. und ich jedoch durch den Saal, Blödsinn sabbelnd und unsere Augen am Verkaufstresen des Concordia Clubs labend, der zur Feier des Tages vaterländische Leckerlis wie Ritter Sport, Nutella, Schwartau-Erdbeermarmelade und ähnliches feilbot.

R., Cousin von O., ein verwegen gutaussehender Halbkolumbianer, hatte sich inzwischen in eine, sagen wir mal, tiefere Diskussion mit einer durchaus verheirateten Frau am Nebentisch vertieft, während deren Mann sich an der Bar zielstrebig mit Freunden zutrank. Ihr war das, trotz der Tatsache daß R. schon natternstramm war, auch gar nicht mal unangenehm - bis ihr Männe aufschaute vom importierten Maßkrug wie das Ferkel vom Trog. Er sah, kam und polterte los, sie kreischte, er wollte R. ans Leder (buchstäblich - nur R. kommt mit einer Lederhose stilmäßig durch...), R. wollte nicht weichen, er holte seine Freunde, R. holte seine und, wie man hier so schön sagt: it was on.

In der Zwischenzeit, und nichtsahnend von obigen Entwicklungen, hatten O. und ich auch die Tanzfläche geentert und legten einen dermaßen schiefen Twist aufs Parkett, daß wir von kleinen Kindern zurecht ausgelacht wurden. Die Zittertaler Zonenzombies, oder wie auch immer die Krachmacher da hießen, schwangen sich auf zum Finale, der Vorkrächzer hievte seine beträchtliche Schnottenbremse übers Mikrophon und kommandierte: "Rechter Arm hoch.....", und ich dachte mir noch: jau, so isses richtig, das paßt ja, "....linker Arm hoch...." - und O. grazert lachend und obstlergeschmeidig in den Saal: "Genau! Rotfront erst!"

Dann passierte zweierlei: diverse ältliche Männer bahnten sich krückstockschwingend den Weg zu uns, ihre rheumathischen Zeigefinger drohend in unsere generelle Richtung wackelnd. Der asthmatische Atem des Hades (oder zumindest der von Gebißhaftcreme und Sauerkraut) umwehte uns, und während ich Freund O., ein zutiefst unpolitischer Vertreter der Wein, Weib und Gesang-Fraktion und eben kein, wie er jetzt laut beschimpft wurde, "Kommunistenarsch", zurück zu unserem Tisch zog, liefen wir quasi schnurstracks in die von R.s Neigung zum Poussieren ausgelöste Völkerschlacht von Tempe.

Danach war unser Bleiben nicht mehr von Dauer. Die libanesischen Türsteher verwiesen sowohl uns als auch 2 gichtige Rotfrontgegner und das immer noch heftig miteinander zankende Ehepaar samt ihrer Gefolgschaft freundlich aber sehr bestimmt des Geländes. Ich wankte nach Hause, unschön berührt über den abrupten Ausgang des Abends, und mußte trotzdem feststellen: so stellt man sich als antinationaler Rumtreiber doch das Nirvana vor - mit 8 verschiedenen Ethnien Lokalverbot beim Oktoberfest im deutschen Club.