16.9.03

Aus dem Archiv

Was man nicht alles so beim Aufräumen findet... Neulich, beim Entrümpeln des Schreibtisches, fielen mir einige Disketten in die Hände, und es trieb einem Tränen der Nostalgie in die Augen. Längst vergessene Perlen (HA!) der Fabulierkunst erschienen auf dem Bildschirm. Und darum hier Teil I einer evtl. noch fortzusetzenden Serie namens "Aus dem Archiv" oder so (und "Teil I" darf man fast schon als Drohung verstehen, wenn ich mir das Gefasel so durchlese...)

Dies ist aus meiner Radiozeit beim Freien Sender Kombinat Hamburg (FSK), genauer der altehrwürdigen Sportredaktion, Buddha hab' sie selig. Gesendet haben wir's, wenn ich meinen Aufzeichnungen Glauben schenken darf, am 12.01.1998. Und so kann ich mich auch nur mit "Ey, is' ja auch schon knapp 6 Jahre her" entschuldigen...

DFB - Hallenpokal in der Gewerbeschule oder Fußball muß sterben

Ich spiele Fußball. Gut, das an sich ist sicherlich nichts Bemerkenswertes, schließlich teilen dieses Freizeitvergnügen Millionen anderer Menschen in diesem Land (und zwar, wie Heribert "Wir wurden betrogen" Faßbender anno ´92 anläßlich des Fußballeuropameisterschafts-Endspiels BRD-Dänemark nicht müde wurde zu betonen, mehr Menschen als Dänemark Einwohner hat).

Ich spiele in den unteren Herren eines Hamburger Vorortvereins, dessen bis heute größte Errungenschaft es war, den jetzigen Trainer der Borussia aus Mönchengladbach, Norbert Meyer, hervorgebracht zu haben. Zur Tradition meines fest im sog. "Breitensport" verankerten Vereins gehört u.a. die Ausrichtung eines vereinsinternen Hallenturniers, irgendwann im Januar jeden Jahres. (Der Begriff "Breitensport" erhält in der Spielklasse der unteren Herren ab und an eine andere Bedeutung, sozusagen einen hopfenkaltschalen Beigeschmack. Das sei jedoch nur am Rande erwähnt.)

Blicken wir also zurück auf unser Hallenturnier anno 1997. 6 Teams nahmen teil, drei untere Herren Mannschaften, zwei alte Herren Mannschaften und unser Frauenteam. Und es war ein unvergeßlicher Sonntag, einer dieser Tage, die man den blindwütigen AdeptInnen des Amateur - oder Breitensports gerne um die tauben Ohrwascheln watschen möchte. Jeder der meint, daß Menschen, die Breitensport betreiben, ad hoc ehrlichere, edlere und qua ihrer Unfähigkeit, mit ihrem Hobby auch noch Geld zu verdienen eigentlich bessere Menschen seien als ihre Profikollegen, wäre letztes Jahr eines Besseren belehrt worden.

Es ging mit einer Verbissenheit zur Sache, die eigentlich nur noch mit Volker Rühes (der Minister mit der stets entsicherte Bullldoggenvisage) sturer Behauptung vergleichbar ist, daß die Bundeswehr keinesfalls ein notorischer Ausbilder von Rechtsradikalen an Waffen ist, sondern ein Pfadfinderverein mit gelegentlichen Kochtrips an die Krisenherde dieser Welt. Und so wurde um jeden Ball gefightet, daß es eine Art hatte.

Wie gesagt, ich spiele im Breitensportbereich, es konnte also keinesfalls darum gehen, per Blutgrätsche, Preßschlag und Ellenbogencheck dafür zu sorgen, daß abends das Schwarzbrot auf den Tisch kommt, so wie es die ProfikollegInnen in einer erfrischenden neuzeitlichen Gladiatorenweise ja tun müssen. Nein, hier kochte der Ehrgeiz, brodelten die Ambitionen und schäumte das Temperament quasi über mit dem Verlangen, um jeden Preis zu gewinnen, oder zumindest nicht zu verlieren. Nun weiß natürlich jede, daß wer einen Wettkampfsport betreibt ihn auch gewinnen möchte, anderes wäre der ganzen Sache ja auch eher abträglich. Was jedoch bemerkenswert war, damals im Januar ´97, war das kollektive Verteidigen- und Rettenmüssen einer wie auch immer gearteten Ehre, was auch immer geschah, man durfte nicht gegen das Team XY verlieren, komme was da wolle.

Das ganze Panorama gesellschaftlicher Kleinkämpfe wurde gegeben: die, zumeist jüngeren, unteren Herrenmannschaften durften niemals nicht gegen die alten Herren verlieren, weil es ja schließlich ehrenrührig wäre, gegen diese alten Säcke den Kürzeren ziehen zu müssen.

Die alten Herren wiederum durften auf keinen Fall gegen die jungen Hüpfer verlieren, weil man ja schließlich mit Mitte 40 oder 50 noch nicht zum alten Eisen gehört und letzlich schon gegen den Ball getreten hat, als die Emporkömmlinge erst die Morgenübelkeit der Mutter waren und noch gar nicht wußten wie die Harke aussieht, die die alten Herren ihnen zu zeigen gedachten.

Darüberhinaus ist der Fußballbereich meines Vorortvereins recht intim gestrickt, jeder kennt mehr oder weniger jede und niemand wollte bei diesem Prestigeduell um den begehrten Hallenwanderpokal meines Vereins das ehrgeizzerfressene Gesicht verlieren.

Schlußendlich einte alle Männerteams dann doch Eines: bloß nicht gegen die, wie es nicht nur bei uns so widerlich heißt, "Damenmannschaft" verlieren. Der Himmel möge uns auf den Kopf fallen, egal, aber nicht gegen die "Damen" verlieren. Nun hatte unsere Frauenmannschaft damals kein schlagkräftiges Team beisammen, waren damit objektiv gesehen sicher die schlagbarsten Gegnerinnen und das routinemäßige Taxieren der Ansetzungsliste gehört bei Hallenturnieren wirklich zum Normalen. Die Furcht jedoch, ausgerechnet von Frauen geschlagen werden zu können (selbst ein Unentschieden hätte wahrscheinlich die gemeinsame Selbstentleibung der solchermaßen entehrten Mannschaft zur Folge gehabt), nahm da fast schon komische Züge an. An der, natürlich von den Spielerfrauen organisierten Kaffeetheke, waberte die diffuse Furcht vor der fußballerischen Kastration wie eine üble Wolke.

So kam es denn, wie es kommen mußte, und wie von mir zumindest so nicht vorhergesehen. Jedes Spiel geriet zum gesellschaftlichen Konkurrenzkampf und wer jetzt meint, ich übertreibe oder das dieser Vergleich so hinkt wie der bereits im 2. Spiel vom Feld getretene Spieler einer alten Herren, die zeihe ich hier der Ignoranz. Frei nach Robin Williams: Ich liebe den Gruch von Angstschweiß am Sonntagmittag. Alle gegen alle und alle machten mit. Hysterische Kommandos der wechselnden Auswechselbanken, Pöbeleien und offene Anfeindungen gegen GegnerInnen, Schiedsrichter und Schiedsgericht wurden von, sagen wir mal, unorthodoxen Zweikampfmethoden und diversen roten Karten befeuert und alles hatte den Anschein, als ob der große Verteilungskrieg um Pfründe aller Art zu einem, naja, eben Fußballhallenturnier mutierte.

Am Ende dieser grausigen Show gewann schließlich unsere hauptsächlich russisch majorisierte untere Herrenmannschaft, die damals noch recht neu im Verein war und der mit dem in Deutschland üblichen ungesunden Mißtrauen gegenüber allem Fremdländischen begegnet wurde, gerechterweise das Turnier, die Frauen wurden ebenso patriarchal wie selbstverständlich abgeledert und hinterher sprach man von einem gemütlichen Kick. Wieder einmal ein Ventil gefunden für die tagtäglichen Tritte auf der Arbeit, bequem und schnell, gemein und billig, und wer Fußball liebt und darüber nicht erschüttert ist (oder zumindest, wie ich, höchst amüsiert) der hat kein Herz. Um mit Wiglaf Droste zu sprechen: Ein richtig schöner, schmierlappiger Sonntag war das damals im Januar ´97, bei meinem Vorortverein-internen Hallenturnier.

Doch nun gestern, beim Turnier ´98 meines Vereins, Weh und Aua auf der ganzen Szene. Nicht mehr in der miefigen Grottenhalle einer Grund- und Gesamtschule wurde gespielt, sondern in der größeren, luftigen Hallenkathedrale der örtlichen Gewerbeschule. Was sollte das denn? Es half auch nichts, daß natürlich wieder einmal die Angst vor einer Niederlage gegen das Frauenteam die Männerrunde machte und daß immer noch ein vager Generationskonflikt im Raum stand. Es war, wie soll ich das sagen, nett!

Entspannte Menschen unterhielten sich miteinander, um zwischendurch etwas Fußball zu spielen, und obwohl es durchaus wettkampfmäßig zur Sache ging, lag eine heitere Athmosphäre über dem ganzen und selbst ein das schönste Eigentor der Welt fabrizierender Torhüter wurde nicht gesteinigt, sondern mittels sarkastischer Sprechchöre ausgelacht, wie es sich ja auch gehört. Kleine NachwuchsfußballerInnen wuselten umher und traten ihren Erzeugern ein ums andere Mal auf die beturnschuhten Füße, einige Spiele degenerierten in fast schon groteske Torfestivals und selbst die Frikadellen schmeckten besser als letztes Jahr.

NEINNEINNEIN, so will ich meinen Hallenfußball nicht haben, diese Travestie des göttlichen Sports. Ich will meine Gesellschaftsallegorie, ich will sehen, wie sich ausgebrannte, frustrierte Lebensleichen den letzten Rest Selbstachtung bewahren, indem sie bei einem Vorortvereins-internen Hallenturnier durchknallen und angstbeißen, ich will treten und getreten werden, im Spiel so wie im Leben. Ich will keinen DFB-Hallenpokal in der Gewerbeschule, kein reibungsloses Miteinander von Menschen, die sich im sonstigen Leben ja auch nix zu sagen hätten. Sonst könnte man ja fast auf die Idee kommen, daß das breitensportliche Ausüben des Fußballsports tatsächlich eine klassenübergreifende, die Menschen vereinende und eigentlich prima Sache sei und von dieser Illusion hat man sich ja fast schon verabschiedet.

Jedenfalls gewannen am Ende wieder unsere Russen (und bei der Pokalübergabe wurde ihnen sogar herzlich, und nicht wie im Jahr zuvor lediglich pflichtbewußt, Beifall geklatscht), wir wurden wieder mal nur 2., und unser Frauenteam wurde zwar wieder geschlagen, aber selbst das hatte gestern irgendwie nicht diesen fiesen Machobeigeschmack. Irgendwie schon schön war's, irritierend aber supi, und als Fazit bliebe nur anzumerken, daß wenn mensch sich schon der Vereinsmeierei dieses Landes an die vergilbte Brust werfen muß, ein nettes vereinsinternes Hallenturnier immer noch den angenehmeren Sonntag bietet als eine Tagung des Deutschen Verbandes der Teckelzüchter.